Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
bereits im letzten Jahr trotz mehrerer Mahnungen nur zum Teil beglichen worden. Ich habe dem Kerl mit dem Gericht gedroht, doch er meinte, er sähe einem Prozess mit Zuversicht entgegen.«
    Da Ottwald das Temperament seiner Mutter kannte, war ihm klar, dass sie sehr laut geworden war. Dabei konnte er sie verstehen. Schließlich hatte die Versicherungsanstalt über Jahre eifrig kassiert und nutzte nun jeden Vorwand, nicht zahlen zu müssen.
    Seine Mutter war noch nicht am Ende ihrer Tirade angelangt. »Ich habe diesen Lumpen aus dem Haus werfen und von den Hunden vom Gut jagen lassen. Weißt du, was er danach getan hat?«
    »Nein, woher soll ich es wissen?«
    »Der Kerl hat vor Gericht eine Klage wegen angeblicher Beleidigung und Körperverletzung gegen mich angestrengt. Dabei haben ihn die Hunde höchstens zwei- oder dreimal gebissen, und die Hiebe, die ihm die Knechte verabreichten, hat er völlig zu Recht erhalten.«
    Ottwald wurde blass. Er hatte die Macht des Geldes kennengelernt und konnte nur hoffen, dass der Versicherungsanstalt nicht an einem Prozess gelegen war, in dem ihre Zahlungsbereitschaft in Zweifel gezogen wurde.
    »Du sagst nichts? Findest du das Verhalten dieses Mannes nicht auch empörend?«, fragte Malwine scharf.
    »Doch, Mama! Aber lass uns aufbrechen. Wir sind als Gäste bei Frau Klampt untergebracht. Ich hoffe, es macht dir nichts aus?« Ottwald war bewusst, dass sie in stark beengten Verhältnissen würden leben müssen, denn Ermingarde Klampts Tante hatte den Wunsch nach zwei weiteren Zimmern abschlägig beschieden. Daher würde er weiterhin bei Gerhard Klampt schlafen und seine Mutter sich das Bett mit dessen Schwester teilen müssen.
    »Ermingarde Klampt ist eine kluge Frau, die weiß, was sie will«, erklärte Malwine zu seiner Erleichterung. »Aber als dein Vater noch lebte, sind wir in den besten Hotels in Berlin abgestiegen!«
    Da Ottwald sich noch gut daran erinnern konnte, wie armselig sie vor ihrem Einzug auf Gut Trettin gehaust hatten, wandte er das Gesicht ab, damit seine Mutter nicht sah, was für eine Miene er zog. Damals hatten seine Eltern sich nicht einmal ein mittelmäßiges Hotel leisten können, geschweige denn eines, das mit dem Adlon vergleichbar gewesen wäre. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob womöglich alles anders gekommen wäre, wenn sein Vater und seine Mutter versucht hätten, mit dem alten Majoratsherrn auf Trettin einen Konsens zu schließen. Dann wäre er nicht der Leidtragende dieses elenden Streits, das Gut Trettin nicht bis aufs Äußerste verschuldet und sein Verhältnis zur Berliner Verwandtschaft möglicherweise nicht irreparabel zerrüttet.
    »Kommt, Frau Mutter! Die Droschke wartet.« Ottwald ging voraus, ohne darauf zu achten, ob sie ihm folgte. In ihm wuchs die Wut über die üble Situation, in der er steckte, auf ein schier unerträgliches Maß, und er empfand Hass auf alle, die es ihm unmöglich machten, so zu leben, wie es seinem Stand zukam. Als Hauptschuldigen sah er seinen Onkel Fridolin an, diesen zu Geld gekommenen Nichtsnutz. Was hätten er und Malwine allein für die zweitausend Taler gegeben, die der alte Herr auf Trettin aufgewendet hatte, um diesen Neffen vor dem Schuldgefängnis zu bewahren. Daher erschien es Ottwald absolut legitim, sich das Geld, das Lores Großvater seiner Enkelin und Fridolin zugesteckt hatte, auf krummen Wegen wiederzuholen.
    Die Gepäckträger folgten Ottwald und Malwine und wuchteten die schweren Koffer in die wartende Droschke. Das Trinkgeld für ihre Dienste fiel so bescheiden aus, dass sich einer der Männer an die Stirn tippte. »Wenn ick jewusst hätte, wie jeizig Sie sind, hätte ick Ihnen Ihre Koffer nicht jeschleppt!«
    Ohne den Mann weiter zu beachten, gab Ottwald dem Droschkenkutscher das Zeichen zum Aufbruch. Dieser zog ein saures Gesicht, denn aus dem von ihm erwarteten guten Geschäft würde wohl nichts werden angesichts dessen, wie knickrig sich sein Fahrgast bei den Dienstmännern des Bahnhofs gezeigt hatte. Missmutig fuhr der gute Mann auf kürzestem Weg in die Palisadenstraße, hielt vor dem Haus, in dem die Klampts wohnten, und nannte seinen Fahrpreis. Als Ottwald diesen um ein winziges Trinkgeld aufgerundet hatte und ihm in die Hand zählte, blieb er auf seinem Bock sitzen und scherte sich nicht um die Koffer.
    »Wollen Sie nicht abladen?«, fragte er, als sein Fahrgast untätig neben der Kutsche stehen blieb.
    »Das ist doch deine Aufgabe«, antwortete dieser empört.
    Der

Weitere Kostenlose Bücher