Juliregen
unerschrockene Mädchen, mit dem sie als Kind auf der Fahrt nach England haarsträubende Abenteuer erlebt hatte. Diese Zeit war Gott sei Dank vorbei, und nun freute sie sich darauf, neben dem Gig zu reiten und sich gemütlich mit ihren Freundinnen unterhalten zu können.
Für Konrad war ebenfalls ein Pferd gesattelt worden, doch er schüttelte den Kopf. »Nichts für mich! Ich stelle mich lieber auf den Platz des Grooms. Immerhin war ich Seemann und kein Kavallerist. Ich weiß von einem Gaul gerade so viel, dass er vorne beißt und hinten austritt!« Mit einem Lachen stieg er auf die kleine Plattform am Heck der Gig und zwinkerte Lore fröhlich zu. »Fahr bitte so, dass du mich nicht verlierst. Ich müsste sonst den ganzen Weg zu Fuß laufen.«
»Das wollen wir gewiss nicht, oder, Mary?« Lore stupste ihre in England geborene Freundin an, die in Gedanken schien.
Erschrocken blickte diese auf. »Vielleicht kann Konrad sich doch in den Wagen setzen. Wenn wir beide uns dünn machen …«
Sie konnte den Satz nicht vollenden, da ihr Mann sie grinsend unterbrach. »Das kannst du mir nicht antun, Mary. Ich mag dich so, wie du bist. Dünner solltest du wirklich nicht werden.«
Mary drehte sich kurz zu ihm um und schüttelte den Kopf. »Männer, sage ich da nur!«
»Und ich sage Hü!« Lore versuchte die Peitsche so über dem Wallach knallen zu lassen wie Nathalia, aber die Schnur pfiff mehr als eine Armlänge über dessen Ohren hinweg, ohne auch nur einen Ton von sich geben. Das Pferd begriff jedoch, was von ihm gewünscht wurde, und trabte an. Auch der zweite Wagen setzte sich in Bewegung, und Nathalia und Fridolin folgten ihnen dichtauf. Kurz darauf erreichten sie die Landstraße, und dort musste Nathalia Fridolin ein wenig bremsen.
»Mein Lieber, ich verstehe, dass du so rasch wie möglich dein neues Besitztum erreichen willst, doch solltest du auf uns Frauen und auch auf die Pferde Rücksicht nehmen. Es ist sehr heiß, und du willst doch nicht, dass wir abgetrieben wie alte Gäule auf Nehlen erscheinen!«
Lore lächelte. »Abgetrieben wären zwar nur die Pferde, doch wir wären arg derangiert. Das mag ich nicht, solange Rodegard von Philippstein mit ihrer unsäglichen Gottlobine auf Nehlen zu Gast ist.«
Nun stöhnte Fridolin theatralisch auf. »Was? Diese Schre… eh, Damen befinden sich auf Nehlen? Ich glaube, wir übernachten in einem Gasthof!«
»Das kannst du Graf Nehlen nicht antun. Immerhin ist er bereit, dir nach Kräften beizustehen«, mahnte Lore ihn.
»Du hast ja recht! Aber müssen wir ausgerechnet den beiden Philippsteinerinnen dort begegnen?«, antwortete ihr Mann mit säuerlicher Miene.
»Es wird dich gewiss freuen, dort auch Adolar von Bukow anzutreffen«, stichelte Lore. »Allerdings wirkt der Leutnant gegen seinen Vetter Gademer geradezu sympathisch. Der älteste Großneffe ist ein sehr von sich überzeugte Streber und hat anstelle des Herzens eine dieser neuen Addiermaschinen in der Brust.«
»Das sind also die Möchtegernerben des Herrn auf Nehlen. Na, dann möchte ich gar nicht erst wissen, wie der Dritte daherkommt!« Fridolin schüttelte den Kopf und achtete einen Augenblick nicht auf seinen Wallach. Dieser machte einen Satz zur Seite und hätte seinen Reiter beinahe abgeworfen. Nachdem er sich mit Mühe wieder gefangen hatte, sah er Nathalias Augen blitzend auf sich gerichtet. »Das war die gerechte Strafe für deine unbedachten Worte, mein Guter. Graf Nehlens dritter Neffe wird das Gut gewiss nicht erben, denn er ist weder ein Landwirt wie von Gademer noch ein schneidiger Offizier wie Leutnant Bukow. Trotzdem hat er etwas, was diesen beiden fehlt!«
»Und das wäre?«, fragte Fridolin erstaunt.
Nathalia nahm die Zügel in eine Hand und berührte mit dem Zeigefinger der anderen ihre Stirn. »Köpfchen, mein Guter! Er wird gewiss einmal ein berühmter Wissenschaftler werden, während von Gademer seinen Kohl anbauen und von Bukow weiterhin Unter den Linden vor Seiner Majestät paradieren wird.«
Diese leidenschaftliche Stellungnahme verblüffte nicht nur Fridolin, sondern ließ auch Mary und Konrad aufhorchen. »Von wem spricht sie mit so viel Wärme?«, fragte die Schneiderin ihre Freundin Lore leise.
»Es geht wieder einmal um Graf Nehlens Neffen Jürgen Göde. Ihn zu beschreiben ist nicht ganz einfach, meine Liebe. Du musst ihn selbst sehen, um dir ein Bild von ihm machen zu können. Ich vermag nur zu sagen, dass er artige Manieren hat und im Gegensatz zu seinen Vettern nicht
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