Juliregen
wurde, in der Obhut meiner Gouvernanten.«
Diesmal verstand selbst Rodegard von Philippstein, dass sie veralbert werden sollte, und schnaubte. »Soviel ich gehört habe, sind Sie sehr rasch von dieser Schule entfernt worden.«
»Ich war insgesamt auf fünf verschiedenen Internaten. In einem hatte ich die große Ehre, die Bank mit Ihrer Tochter zu teilen. Sie war eine vortreffliche Schülerin!« Nathalias Stimme triefte vor Hohn, und sie raunte Lore zu, dass Gottlobine die übelste Petze gewesen war, die sie während ihrer Zeit in der Schweiz kennengelernt hatte.
»Ich habe es ihr aber stets mit Zinsen heimgezahlt«, setzte sie ebenso leise hinzu. »Das war ganz leicht, denn Gottlobine ist so dumm wie Bohnenstroh!«
Graf Nehlen, dem die letzte Bemerkung nicht entgangen war, rettete sich in einen Hustenanfall. Als er sich wieder beruhigt hatte, forderte er seine Gäste auf, ins Haus zu kommen. »Ihr werdet gewiss hungrig sein. Daher habe ich einen kleinen Imbiss vorbereiten lassen.«
Zwar hatte die kleine Reisegruppe unterwegs gegessen, doch alle wussten, dass sie den alten Herrn beleidigen würden, wenn sie seine Einladung ausschlugen, und betraten hinter ihm das Haus.
Wie durch Zufall geriet Nathalia an Gottlobines Seite, und diese bekannte wortreich, wie glücklich sie sich schätze, die Bekanntschaft mit ihr auch hier fortsetzen zu können. Nathalia hingegen sah aus, als wünschte sie sich an jeden anderen Ort der Welt.
Um die Situation nicht eskalieren zu lassen, sandte Lore ihrer jüngeren Freundin einen warnenden Blick zu und unterhielt sich dann mit Jürgen Göde, der durch den Aufenthalt auf dem Land eine gesündere Hautfarbe bekommen hatte.
»Wissen Sie«, sagte sie, als Graf Nehlen sie in den Speisesaal führte, »ich habe einen Anschlag auf Sie vor.«
»Auf mich?«
»Ja! Es ist eine etwas ungewöhnliche Bitte. Ich würde mich freuen, wenn Sie ein Bild von Nathalia anfertigen könnten, auf dem sie dieses Reitkleid trägt. Noch lieber wäre es mir, wenn unsere Freundin dabei auf ihrem Pferd sitzen würde.«
Jürgens Wangen färbten sich ein wenig dunkler, während er Nathalia mit einem prüfenden Blick bedachte. »Die gnädige Komtess sieht in diesem Kleid ganz entzückend aus.«
»Das sage ich auch! Aber lassen Sie das ›gnädige‹ bei der Komtess weg. Wenn sie es zu oft hört, kann sie nämlich sehr ungnädig werden.« Lore kicherte ein wenig, als sie das erschrockene Gesicht des jungen Mannes sah.
»Ich wollte der gnä… Komtess nicht zu nahe treten«, sagte er.
»Das tun Sie auch nicht. Aber heben Sie sich das ›gnädige‹ für Frau von Philippstein und deren Tochter auf. Die beiden freuen sich gewiss, es zu hören.«
»Sie können ja direkt freundlich sein«, warf Graf Nehlen lachend ein. Seine Miene wurde aber sofort wieder ernst. »Es ist zwar äußerst ungehörig, dies zu sagen, aber tatsächlich wäre ich froh, wenn Frau von Philippstein und ihre Tochter mein Gut wieder verlassen würden. Sie richten hier ein heilloses Durcheinander an. Schärfer zu werden verbietet mir jedoch die Höflichkeit.«
Lore konnte den alten Herrn verstehen, und wie um dies zu unterstreichen, setzte sich Frau Rodegard ohne Aufforderung an die Stirnseite der Tafel und übernahm die Rolle der Gastgeberin, als wäre dies ihr ureigenstes Recht. Edgar von Gademer wollte neben ihr Platz nehmen, doch da klang die Stimme des alten Herrn auf. »Wolltest du nicht auf den Wiesen nach dem Rechten sehen?«
Gademer zuckte zusammen wie ein gescholtener Pennäler. »Ich …, ich dachte …«
»Wenn du etwas ankündigst, solltest du es auch ausführen, Edgar. Man könnte sonst glauben, du redest nur dummes Zeug!«
Nehlens Hieb saß. Da Gademer den alten Herrn auf keinen Fall verärgern wollte, schluckte er seinen Ärger hinunter und verneigte sich steif. »Ich bitte die Herrschaften, mich zu entschuldigen. Sobald ich meine Aufgaben erfüllt habe, werde ich mich zu Ihnen gesellen.«
Mit langen Schritten verließ er den Saal.
Rodegard von Philippstein bedachte den alten Grafen mit einem tadelnden Blick. »War es nötig, den armen Jungen so anzufahren?«
»So bin ich nun mal! Habe nicht vor, mich jetzt noch zu ändern. Wer mein Erbe sein will, muss das hinnehmen können! Doch nun bitte ich Sie alle zuzugreifen. Das Essen steht nicht auf dem Tisch, damit man es nur ansieht.«
Ohne sich weiter um seine Verwandte zu kümmern, nahm Graf Nehlen den Löffel zur Hand und widmete sich seiner Suppe.
Seine Gäste taten es
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