Juliregen
seine Skizzen und bat sie, ihre Haltung leicht zu verändern. »So ist es gut! Ich hoffe, es ist einigermaßen bequem.«
»Das kommt darauf an, wie lange ich hier oben bleiben soll. Übernachten will ich nämlich nicht.«
Damit brachte Nathalia nicht nur Lore und Mary, sondern auch Jürgen zum Lachen. »Keine Sorge! Es wird nicht mehr als eine Viertelstunde dauern. Wenn Sie jetzt noch die Reitgerte zur Hand nehmen wollten.«
»Gerne, wenn Sie mir diese geben.«
Jürgen schlug sich mit der flachen Rechten gegen die Stirn. »Oh, das tut mir leid. Ich habe sie im Stall vergessen.«
»Ich hole sie«, bot Lore an und verließ immer noch lächelnd den Raum. Als sie zurückkam, war Jürgen bereits dabei, Skizzen von Nathalia anzufertigen.
Er klappte jedoch sofort den Block zu, als sie neben ihn trat, und auf seinem Gesicht erschien ein schüchternes Lächeln. »Verzeihen Sie, Frau Gräfin, es wäre mir nicht recht, wenn Sie meine rasch hingekritzelten Zeichnungen sehen würden. Ich möchte Ihnen und auch der Komtess erst das fertige Bild zeigen.«
Da Lore und Nathalia von den Fertigkeiten des jungen Mannes mit Zeichenblock und Farbstiften überzeugt waren, hatten sie nichts dagegen. Rodegard von Philippstein jedoch, die den Kopf neugierig zur Tür hereingesteckt hatte, blies verächtlich die Backen auf. Ihres Erachtens hatte Jürgen gerade freiheraus zugegeben, dass er nur Kritzeleien zustande bringen konnte, und sie freute sich schon auf das entsetzte Gesicht, das ihr Gastgeber angesichts eines solchen Machwerks ziehen würde.
VII.
A m nächsten Morgen nahmen Graf Nehlen, Fridolin und Konrad das Frühstück schon bei Sonnenaufgang ein und brachen anschließend auf. Da man Konrad nicht zumuten wollte, die Strecke bis Klingenfeld im Sattel zurückzulegen, hatte Nehlen den Landauer anspannen lassen. Der Graf wollte selbst die Zügel führen, und so blieb dem Kutscher des Gutes nichts anderes übrig, als steif neben seinem Herrn zu sitzen.
Während sich das Gefährt in flottem Tempo dem Ziel näherte, nannte Nehlen Fridolin die Güter und Höfe der wichtigsten Landwirte auf ihrem Weg. »Ich habe bereits mit etlichen Nachbarn gesprochen. Sie alle sind froh, dass ein Bankier Klingenfeld übernimmt. Einige von ihnen hoffen natürlich, Land von Ihnen pachten oder gar kaufen zu können, weil sie annehmen, Sie würden sich nur für die Fabrik interessieren. Die meisten aber wären hochzufrieden, wenn sie endlich ihre Erzeugnisse hier in der Nähe vermarkten könnten«, berichtete er, als sie in das Dorf einfuhren, das Klingenfeld am nächsten lag.
Vor Sikkos Krug, in dem Dirk Maruhn die entscheidenden Hinweise auf den Verbleib des betrügerischen Barons erhalten hatte, brachte Nehlen den Wagen zum Stehen. Drinnen hatten sich schon etliche Bewohner versammelt, darunter auch der Landrat Leopold Meyer, der zuständige Förster mit seiner Büchse, zwei Polizeibeamte in blauen Uniformen und der Pickelhaube auf dem Kopf sowie mehrere Vertreter der Behörden und die Spitzen der hiesigen Landwirtsvereinigung. Letzteren lag vor allem daran, Fridolin kennenzulernen, da dieser demnächst eine gewichtige Rolle in ihrem Landkreis spielen würde.
Fridolin musste viele Hände schütteln und etliche Fragen beantworten. Dabei vermied er bewusst den Fehler, sich als Städter aufzuspielen, der sich über die Leute in der Provinz erhaben dünkt. Die Herren hier hatten ihren Stolz, und es war nicht ratsam, den zu verletzen. Von Graf Nehlen hatte Fridolin einige gute Ratschläge erhalten und hielt sich eisern daran. Außerdem kannte er bereits die Namen der Männer, die hier in dieser Gegend entscheidenden Einfluss besaßen. Von ihnen würde es abhängen, wie gut oder weniger gut er hier aufgenommen wurde.
Als Erstes wies Fridolin den Wirt an, allen anwesenden Herren einen Krug Bier und einen Korn zu bringen. Damit war das Eis gebrochen. Außerdem bestellte er für alle einschließlich der Gendarmen ein Mittagessen, das eingenommen werden sollte, sobald er Klingenfeld übernommen hatte.
Über den Gesprächen vergaßen die Männer jedoch ihre eigentliche Aufgabe nicht, und so befragte Landrat Meyer den Wirt nach der Lage auf Gut Klingenfeld.
Sikko zuckte mit den Schultern. »Wie es dort aussieht, weiß ich nicht. Ich habe nur mal mit der alten Erna gesprochen, und die hat gejammert, wie schlimm es geworden sei.«
»Haben Sie dem Verwalter mitgeteilt, dass der neue Besitzer das Gut heute übernimmt?«, fragte der Beamte weiter.
Der Wirt
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