Juliregen
Nathalia gegen ihre Natur schweigend dabeisaß und den jungen Mann unter gesenkten Augenlidern beobachtete.
Nach einer Weile schüttelte Jürgen den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich mir das zutraue.«
Bukow, der das gehört hatte, verzog verächtlich das Gesicht. »Einmal Memme, immer Memme.«
Da er seiner Stimme keine Zügel anlegte, waren seine Worte am ganzen Tisch zu vernehmen.
Graf Nehlen runzelte die Stirn, sagte aber nichts, sondern behielt Jürgen im Auge. Dieser atmete mehrmals tief durch und blickte Nathalia dann mit ungewohnt entschlossener Miene an. »Ich würde mich geehrt fühlen, wenn ich dieses Bild malen dürfte. Komtess müssten mir aber Modell stehen.«
»Da ich bis heute Abend und morgen bis zum Mittag nichts anderes zu tun habe, tue ich es gerne«, erklärte Nathalia und lächelte zufrieden, in der Hoffnung, die Damen Philippstein damit ebenfalls zu ärgern.
Diese waren jedoch hocherfreut. Da Jürgen in ihren Augen nicht als Erbe in Betracht kam, spielte ihnen dieser Umstand in die Hände. Wie sie Leutnant Bukow kannten, war er niemand, der still danebensitzen würde, während eine Frau gemalt wurde, und was Jürgen selbst betraf, würde er sich mit seiner Kleckserei gewiss die letzte Sympathie seines Onkels verscherzen.
VI.
N ach dem Essen bat Jürgen Nathalia, das Reiterkleid wieder anzuziehen und sich auf ihre Stute zu setzen.
Die junge Gräfin tat ihm den Gefallen, lachte ihn aber aus, als sie im Sattel saß. »Wenn Sie glauben, mein Pferdchen bleibt so lange zur Salzsäule erstarrt, bis Sie mit dem Bild fertig sind, muss ich Sie enttäuschen. Dafür ist es viel zu temperamentvoll.«
»Ich hatte nicht vor, dem Pferd eine solche Tortur zuzumuten, sondern möchte es in Bewegung sehen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, ein paarmal in leichtem Trab hin und her zu reiten?«
»Keineswegs«, antwortete Nathalia übermütig und kitzelte Frühlingsmaid leicht mit ihrem Sporn. Diese kannte das Spiel und trabte mit einem fröhlichen Wiehern an. In der nächsten Viertelstunde durchmaß Nathalia mehrfach den Vorplatz und ließ dabei die Stute sowohl im Trab wie auch im Galopp an Jürgen vorbeilaufen.
Dieser fertigte mit flinken Fingern etliche Skizzen an, forderte Nathalia dabei immer wieder auf, gewisse Gangpassagen zu wiederholen, und klappte schließlich seinen Zeichenblock zu.
»Herzlichen Dank, Komtess! Sie waren bewundernswert und Ihre Stute nicht minder.«
Während Nathalia ihm kurz zuwinkte und dann zum Stall ritt, schüttelte Leutnant Bukow, der ihnen von der Freitreppe aus zugesehen hatte, in gespielter Empörung den Kopf. »Ein unmöglicher Mensch, meinen Sie nicht auch, Fräulein von Philippstein? Eine Dame im gleichen Atemzug wie ein Pferd zu nennen, das kann wirklich nur mein Vetter tun. Plebejerblut, sage ich da nur. Von unserer Seite hat er das bestimmt nicht!«
Von einer anderen Stelle aus hatten Graf Nehlen, Fridolin und Konrad zugesehen. »Ein prachtvolles Mädchen! Wenn ich vierzig, meinetwegen auch dreißig Jahre jünger wäre, wüsste ich, was ich zu tun hätte«, sagte der alte Herr mit einem entsagungsvollen Seufzer und wandte sich an Fridolin. »Seien Sie froh, dass Sie eigene Kinder haben. So wissen Sie wenigstens, wem Sie einmal Ihr Vermögen hinterlassen werden. Ich hingegen …«, Nehlen machte eine wegwerfende Geste, »… schlage mich mit diesen drei Großneffen herum. Einer davon ist ein Streber von der Art, die ich bereits in der Schule hassen gelernt habe, der zweite ein Schmarotzer und dem dritten hat die Mutter jegliches Selbstbewusstsein ausgetrieben – wenn er je eins besaß.«
»Ich glaube, Sie sind etwas zu streng mit allen dreien. Gademer scheint ein ausgezeichneter Landwirt zu sein, Bukow gilt als guter Offizier, dem nur wenig fehlt, um zum Oberleutnant befördert zu werden, und Göde hat immerhin meiner Frau und der Komtess auf Klingenfeld das Leben gerettet. Mich überläuft es immer noch heiß und kalt, wenn ich an diese Begebenheit denke.«
»Das mag alles sein! Mir wäre es jedoch lieber, ich hätte meinen Nachfolger selbst erziehen können. So sind es trotz der Verwandtschaft fremde Leute für mich. Sie können sich gar nicht vorstellen, was Gademers Eltern oder auch die Bukows alles aufgewendet haben, damit ihre Söhne einmal mein Erbe antreten können.«
»Und die Eltern von Herrn Göde?«, fragte Fridolin.
Der alte Herr winkte mit einem bissigen Lachen ab. »Jürgens Mutter galt in der Familie als Persona non grata, nachdem sie einen
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