Juliregen
lachte, entdeckte dann in einer Ecke einen Diener, der noch frische Gläser und eine Flasche Champagner auf einem Tablett trug, und winkte ihn zu sich heran.
»Ich glaube, das haben wir beide verdient«, sagte sie zu Lore, während sie zwei Gläser eingießen ließ und eines davon weiterreichte.
»Salut, wie Tante Lianne sagen würde!« Damit stieß Nathalia mit Lore an und schlürfte genussvoll den Champagner.
»Sag bloß, dir schmeckt das Zeug?«, fragte Lore, die alkoholischen Getränken noch nie etwas hatte abgewinnen können.
»Es geht, aber ich kann hier ja schlecht einen doppelten Rum kippen, wie es sich für eine Reederin eigentlich gehört.«
Lore überlegte nicht zum ersten Mal, wie sie Nathalias Übermut bremsen konnte, denn allmählich wurde ihr das Fräulein zu keck. Daher setzte sie eine ernste Miene auf und fixierte ihren Schützling mit einem scharfen Blick. »Ich muss sagen, du enttäuschst mich, Nathalia, und Tante Dorothea gewiss nicht minder. Immerhin bist du eine junge Dame von bald neunzehn Jahren. In deinem Alter war ich schon fast drei Jahre verheiratet.«
»Ich hätte auch mit sechzehn geheiratet, aber du hast mich ja davon abgehalten«, antwortete Nathalia in gespielter Empörung.
Zuerst begriff Lore nicht, was ihre Freundin meinte, musste dann aber lachen. »Oh Gott, musst du wieder damit anfangen? Der Mann war mehr als dreimal so alt wie du, Jahrmarktsschausteller und – wie ich erfahren hatte – bereits verheiratet.«
»Aber er sah sehr gut aus und hatte Muskeln wie ein griechischer Gott!«
»Da ich noch keinen griechischen Gott gesehen habe, kann ich das nicht beurteilen. Auf jeden Fall war dieser Jahrmarktsringer kein geeigneter Ehemann für dich.« Lore wollte noch mehr sagen, merkte dann aber, dass ihr Schützling sie nur zum Narren gehalten hatte, und schüttelte den Kopf.
»Bei dir ist wirklich Hopfen und Malz verloren. Dabei haben Dorothea und ich alle Mühe darauf verwandt, dich in eine wohlerzogene junge Dame zu verwandeln. Wenn ich daran denke, wie oft ich in die Schweiz fahren musste, um die Direktorinnen der Internate davon abzubringen, dich umgehend von der Schule zu verweisen.«
»Ich erinnere mich auch noch gut daran«, erklärte Nathalia lachend. »Einem dieser Drachen hast du an den Kopf geworfen, dass er besser Feldwebel in der preußischen Armee hätte werden sollen, als kleine Mädchen zu erziehen, und bei einer Zweiten dachte ich im ersten Moment, du würdest ihr den Rohrstock abnehmen und ihr die Schläge heimzahlen, die sie mir verpasst hat. Schade, dabei hätte ich gerne zugesehen. Und die Dritte …«
Lore schnaubte und versetzte Nathalia einen Klaps. »Tu nicht so, als wärst du stets nur die verfolgte Unschuld gewesen. Jemand eine tote Ratte unter die Bettdecke zu stecken, ist äußerst ungehörig!«
»Aber es hat Spaß gemacht«, antwortete Nathalia mit blitzenden Augen. »Wie gerne würde ich es wieder tun. Zur Not tut es auch ein Frosch. Du magst doch Frösche, oder?«
»Nicht in meinem Bett!« Lore überkam das Gefühl, Windmühlen zu predigen. Daher richtete sie ihre Gedanken auf etwas anderes und winkte ihre Mamsell zu sich.
»Sie können jetzt aufräumen und die Möbel wieder hereinbringen, Frau Knoppke. Unser nächstes Fest wird Gott sei Dank erst im Herbst stattfinden.«
»Gnädige Frau können sich auf mich verlassen. Wenn Sie morgen …«
»Heute, Jutta! Es ist schon Mitternacht vorbei«, korrigierte Nathalia die Frau lachend.
»Es ist ungehörig, die Mamsell mit dem Vornamen anzusprechen«, wies Lore ihren Schützling zurecht.
»Jutta gefällt mir aber besser als Frau Knoppke. Außerdem habe ich sie bereits früher so genannt«, antwortete Nathalia, sah dann aber selbst, dass sie den Bogen nicht überspannen durfte, und hakte sich bei Lore unter.
»Sehen wir noch nach den Kleinen?« Nathalia wusste aus Erfahrung, dass der Hinweis auf Lores Kinder ihre ältere Freundin versöhnlich stimmen würde, und so war es auch diesmal.
»Frau Knoppke, ich verlasse mich ganz auf Sie!« Lore nickte ihrer Mamsell zu und ließ sich von Nathalia mitziehen. »Es wird Zeit, ins Bett zu gehen. Aber wir sollten tatsächlich zuerst nachsehen, ob bei den Kindern alles in Ordnung ist.«
Sie verließen die Repräsentationsräume der Villa und stiegen die Treppe zum nächsten Stockwerk hoch. Lore ging an den eigenen Räumen vorbei, blieb vor der Tür des Kinderzimmers stehen und lauschte.
»Drinnen ist alles ruhig.« Sie öffnete vorsichtig die
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