Juliregen
geschnitten wie das eines Raubvogels, und ihre Figur schien jegliche Kurven zu entbehren. Eine solche Frau heiraten zu müssen war ein Alptraum, und er flehte die Mächte des Himmels an, Ottwald von Trettins Plan, Nathalia von Retzmann zu einer Ehe zu zwingen, von Erfolg zu krönen. Mit dem Anteil, der ihm von dem Vermögen der Komtess zufallen würde, konnte er Philomena und Großtante Fabarius eine lange Nase drehen und sein weiteres Leben so gestalten, wie er es sich vorstellte.
»Diese Herrschaften sind wohl heute zu Gast?«, fragte Philomena mit einem Seitenblick auf Malwine von Trettin und deren Sohn. Dabei musterte sie die Weingläser und die Karaffen auf dem Tisch und kniff die Lippen zusammen.
Ermingarde und ihre Tochter begriffen, dass der Kampf um die Macht bereits entbrannt war, und kochten innerlich vor Wut über Philomenas unzeitiges Auftauchen.
»Meine Liebe, welches Zimmer hat unsere Großtante dir angewiesen?«, fragte Ermingarde mit kaum verhohlenem Widerwillen.
»Liebste Tante, da Sie selbst so genau auf die Verwandtschaftsgrade achten, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass unsere großzügige Verwandte Friederike Fabarius höchstens Ihre Tante sein kann, aber niemals Ihre Großtante«, korrigierte Philomena sie.
»Die gnädige Frau hat beschlossen, Fräulein Philomena oben bei sich wohnen zu lassen«, erklärte das Dienstmädchen, das sich über den Ärger freute, den Ermingarde und deren Kinder empfanden.
Philomena sah Gerhard Klampt mit einem kalten Lächeln an. »Ich habe mein Gepäck am Schlesischen Bahnhof in Aufbewahrung gegeben. Würdest du Sorge dafür tragen, dass es hierhergebracht wird? Entschuldigt mich jetzt bitte. Ich bin müde von der Fahrt und will mich etwas hinlegen.« Damit wandte sie sich zur Tür und verließ das Zimmer. Draußen rieb sie sich die Hände, weil es ihr schon am ersten Tag gelungen war, Ermingarde und deren Brut klarzumachen, wer hier in Zukunft das Sagen hatte.
XII.
K aum hatte sich die Tür hinter Philomena geschlossen, fuhr Ermingarde wie von der Tarantel gestochen hoch. »Was bildet sich dieses Miststück ein, uns schurigeln zu wollen? Der werde ich …« Sie brach ab, denn ihr fiel beim besten Willen nicht ein, was sie der anderen antun könnte. Da Philomena oben bei Friederike Fabarius wohnen würde, besaß sie auch das Ohr der Hausherrin und konnte diese jederzeit gegen sie aufhetzen.
Mit einer energischen Bewegung wandte sie sich Ottwald von Trettin zu. »Sie müssen Nathalia unbedingt heiraten! Sonst sind meine Kinder und ich dieser impertinenten Person hilflos ausgeliefert.«
Ottwald von Trettin lächelte sanft. »Dafür muss Laabs erst herausfinden, wie wir uns der Komtess bemächtigen können.«
»… und dieser unsäglichen Lore!«, setzte seine Mutter düster hinzu. »Hast du einen Fotografen gefunden, der bereit ist, die Bilder zu machen?«
Ihr Sohn nickte. »Laabs hat ihn mir besorgt. Der Mann hat schon öfter Aufnahmen von nackten Frauen gemacht.«
»Dann ist ja alles bestens vorbereitet, sowohl das Zimmer im Bordell als auch der Fotograf und unsere Helfer. Jetzt muss nur noch die Falle aufgestellt werden. Aber wir benötigen einen Köder, und das Ganze sollte sehr rasch über die Bühne gehen.« Malwines Stimme klang mahnend, denn die letzten Nachrichten, die ihr der Inspektor aus Trettin hatte zukommen lassen, deuteten darauf hin, dass das Gut wahrscheinlich noch vor dem Herbst den Banken zufallen würde.
»Ich hoffe auch, dass es schnell geht!« Gerhard Klampt hatte den Schock über Philomenas Aussehen und Auftreten noch nicht überwunden und sehnte sich nach einer aufmunternden Ablenkung. »Ich werde zum Hoppegarten fahren und den Pferden beim Training zusehen. Kommen Sie mit, Herr von Trettin?«
Ottwald schüttelte den Kopf. »Nein, Gäule sehe ich zu Hause auf dem Gut genug. Ich muss nachdenken!«
Insgeheim verfluchte er Klampt, der den Problemen des Lebens immer wieder aus dem Weg ging und nur jammerte, wenn etwas nicht so lief, wie er es wollte. Eine große Hilfe war der Mann ihm nicht. Weder konnte Klampt ihn dabei unterstützen, Nathalias habhaft zu werden, noch vermochte er ihm Geld zu leihen. Dabei nahm die Summe, die seine Mutter ihm gegeben hatte, mit jedem Tag mehr ab. Wenn es schlecht lief, würde er sich nicht einmal mehr die Reise nach Ostpreußen für sich und Nathalia leisten können. Als frisch verlobtes Paar war es jedoch unumgänglich, dass sie in einem Abteil erster Klasse fuhren, und sie durften auch bei
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