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Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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diesem Tag saß Lore mit Nathalia und Dorothea auf der Terrasse des Klingenfelder Herrenhauses und sah den Kindern zu, die unter der Aufsicht von Tinke, Käthe und Fräulein Agathe im Park spielten.
    »Lange wird es nicht mehr dauern, bis Graf Nehlen seinen Nachfolger benennt«, erklärte Nathalia mit einem missmutigen Schnauben.
    »Dann werden wir wohl nicht mehr auf seinem Gut Rast machen können, wenn wir uns gegenseitig besuchen«, prophezeite Lore düster.
    »Von Steenbrook bis hierher sind es gerade mal zwanzig Kilometer. Die kann ein gutes Gespann auch ohne Pause bewältigen. Als wir nach meiner Befreiung im Regen nach Berlin zurückgefahren sind, haben wir die doppelte Strecke zurückgelegt.«
    Nathalias Worte ließen die Schatten des Geschehens wieder aufsteigen. Dorothea zuckte zusammen, und Lores Gesicht wurde zu einer Maske. »Seit jenem Tag haben wir nichts mehr von Malwine und ihrem Sohn gehört. Ich würde den beiden auch nicht raten, sich zu melden oder gar zu zeigen.«
    Um ihre Worte zu unterstreichen, zog Lore die kleine Taschenpistole, die Fridolin lange Jahre begleitet hatte, aus ihrem verborgenen Futteral. Er hatte sie ihr gegeben, damit sie in gefährlichen Situationen nicht hilflos war.
    Dorothea starrte die kleine Waffe entsetzt an. »Bitte, tu das Ding weg! Es ängstigt mich.«
    Den Gefallen tat Lore ihr sogleich und versuchte dann, die trüben Gedanken mit einer Handbewegung fortzuwischen. »Was sind wir für jämmerliche Geschöpfe! Wir zittern bereits, wenn diese Namen nur fallen«, meinte sie mit einem missglückten Lachen.
    Nathalia warf einem der frechen Spatzen, die die Terrasse belagerten, ein Stückchen Brot zu. »Es ist bedauerlich, dass wir die beiden nicht vor Gericht bringen können. Was ist das für ein Gesetz, das uns, die Opfer dieses infamen Verbrechens, dazu zwingt, den Mund zu halten, weil wir sonst unseren guten Ruf verlieren würden! Dabei haben wir uns wahrlich nicht freiwillig ins
Le Plaisir
schleppen lassen.«
    Lore stellte sich schon auf einen längeren Vortrag über die in Nathalias Augen dringend notwendige Emanzipation der Frauen ein. Doch ihre Freundin sah sie neugierig an. »Hast du inzwischen etwas von Hede Pfefferkorn gehört?«
    »Ich habe vor einigen Tagen einen Brief von ihr bekommen. Sie will das
Le Plaisir
aufgeben und mit ihrem Sohn in die Provinz ziehen, damit dieser dort unbelastet von ihrer Vergangenheit aufwachsen kann. Zwei ihrer Mädchen werden mit der Unterstützung zweier spendabler Herren ihr Etablissement übernehmen.«
    »Können wir bitte über etwas anderes reden als über diesen Tempel der Sünde?« Dorothea hätte ihren erzwungenen Aufenthalt im
Le Plaisir
am liebsten aus ihrem Gedächtnis gestrichen.
    Ungeachtet ihres Einwands fuhr Lore fort: »Frau Pfefferkorn bittet uns um Verzeihung für das, was uns in ihrem Haus widerfahren ist.«
    »Gewährt!«, erklärte Nathalia großzügig. »Immerhin hat sie bei eurer Befreiung tatkräftig mitgeholfen und ist selbst dabei in Gefahr geraten. Ich wünsche ihr Glück.«
    »Ich auch.« Lore dachte an die Frau, die unter anderen Umständen eine gute Freundin hätte werden können und die sie wahrscheinlich niemals wiedersehen würde. Dann wandte sie sich wieder Nathalia zu. »Es ist bedauerlich, dass Herr Göde noch immer nicht das Bild gebracht hat, das dich als stolze Amazone zeigt. Ich hätte es wirklich gerne gesehen.« Lore sah überrascht, wie ihre Freundin errötete und den Kopf senkte.
    »Ich habe es gesehen, heimlich, als wir letztens auf Nehlen waren. Der alte Drachen Philippstein hat doch eine abfällige Bemerkung über Jürgens Malkunst gemacht. Da habe ich es nicht ausgehalten und mich in sein Zimmer geschlichen.«
    »Nati, wenn dich jemand gesehen hätte!«, rief Lore aus.
    »Hat aber niemand«, antwortete Nathalia unbelehrbar. »Und es war der pure Neid, der den Philippstein-Drachen zu dieser Bemerkung trieb. Das Bild ist wunderschön. Ich werde Jü…, Herrn Göde bitten müssen, es zu kopieren, denn ich will es selbst besitzen. Mary kann die Kopie für ihren Salon haben.«
    »Dazu müsstest du Herrn Göde erst dazu bringen, dir das Bild zu übergeben«, wandte Lore ein.
    »Das werde ich auch. Spätestens dann, wenn er Nehlen wegen des Mutterdrachens verlassen muss!«
    Nathalia klang so bestimmt, dass Lore schmunzeln musste. Dennoch wollte sie ihr die Bezeichnung »Drachen« für Rodegard von Philippstein nicht durchgehen lassen. Doch bevor sie etwas sagen konnte, erschien die alte

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