Juliregen
über das Trottoir auf die Fahrbahn stolperte.
»Ich zähle bis fünf! Bist du dann nicht außer Schussweite, knallt es! Eins, zwei …« Weiter brauchte er nicht zu zählen, denn der verhinderte Dieb sauste wie ein Blitz davon.
Fridolin warf ihm einen kurzen Blick hinterher und sah sich um. Doch es war niemand mehr zu sehen. Die anderen Gauner verspürten ebenfalls keine Lust, eine Kugel in den Schädel zu bekommen.
Rasch legte Fridolin die letzten Schritte zum
Le Plaisir
zurück und wollte aus alter Gewohnheit den Türklopfer anschlagen, als er im Licht der Straßenlaterne einen Klingelzug entdeckte. Er betätigte diesen, und gleich darauf wurde die Tür geöffnet.
Vor ihm stand Anton, wie immer in eine prachtvolle Phantasieuniform gehüllt. Er brauchte einen Moment, um Fridolin zu erkennen, dann huschte ein Lächeln über das faltig gewordene Gesicht. »Willkommen, Herr von Trettin …, ich wollte sagen, Herr Graf! Sie wollen wohl mit der Prinzipalin reden. Dachte ich es mir doch. Sie sind keiner, der hierherkommt, um sich ein Mädchen auszusuchen. Nicht bei einer so schönen Frau wie Ihrer Frau Gemahlin. Entschuldigen Sie, dass ich sie erwähnt habe. Soll nicht mehr vorkommen.«
»Na, mein Guter? Wie geht es? Was ist eigentlich hier los? Ich musste eben einen Dieb mit der Pistole in der Hand daran hindern, sich zu intensiv mit meiner Brieftasche zu beschäftigen.«
Antons Gesicht nahm einen düsteren Zug an. »Ich will ja nichts sagen, aber diese Kerle sind wahrscheinlich im Gefolge von Laabs’ Freunden hier aufgetaucht. Das sind keine Leute, die ich in ein ehrenwertes Bordell lassen würde. In meinen Augen sind das Gossenratten. Das ist sehr ärgerlich, denn bisher genoss unser Etablissement einen ausgezeichneten Ruf, den wir auch erhalten wollen. Wir haben schon einen Burschen angestellt, der die Droschken für die Gäste holt, die uns nach ihrem Vergnügen wieder verlassen wollen, damit sie nicht von diesen Lumpen belästigt werden. Die Prinzipalin hätte Laabs nicht heiraten sollen. Der Mann hat ihr kein Glück gebracht. Aber jetzt muss sie und müssen wir mit ihm leben.«
Es war offensichtlich, dass Anton sich Sorgen um seine Herrin machte. Fridolin hatte Hede damals beim Entwurf des Ehevertrags beraten, ohne ihren Bräutigam kennengelernt zu haben. Soviel er wusste, hatte es sich um einen Gastwirt aus der Provinz gehandelt, der in der Reichshauptstadt sein Glück machen wollte. Nun erst fragte er sich, wieso ein solcher Mann wohl eine Bordellbesitzerin heiraten würde, auch wenn diese nicht unvermögend war.
»Ja, ich würde gerne mit Hede reden.« Fridolin klopfte Anton auf die Schulter. »Kopf hoch! Die Zeiten werden schon wieder besser.«
Als er in den Empfangssalon trat, blieb er verwundert stehen. Früher war ihm die Einrichtung des
Le Plaisir
nicht so schäbig vorgekommen. Der Glanz des Bordells hatte seit seinem letzten Besuch arg abgenommen. Auch die Mädchen waren nicht mehr dieselben. Zwar waren sie alle hübsch, zum Teil sogar eine wahre Augenweide, doch es fehlten jene eleganten Huren wie Gerda, Hanna oder Lenka, an die er sich noch gut erinnerte. Deren Nachfolgerinnen konnten vermutlich einem Mann Vergnügen im Bett bereiten, aber der Gast würde sie bereits vergessen haben, wenn er das
Le Plaisir
verließ.
Drei von ihnen kamen sofort auf Fridolin zu und präsentierten dabei recht unverhohlen ihre Reize. Als eine sich an ihn drängte und ihm zwischen die Beine langen wollte, schob er sie zurück. »Ich will Frau Pf… Laabs sprechen!«
Die drei Huren zogen enttäuschte Gesichter. »Die Chefin ist in ihrem Büro. Wir holen Sie, wenn Sie bei uns gewesen sind.«
»Tut mir leid, ich brauche keine Hure, sondern will mit eurer Prinzipalin sprechen.« Fridolins Eindruck, dass diese drei Frauen keinerlei Klasse hatten, verfestigte sich. Sobald sie nicht mehr hübsch genug für das
Le Plaisir
waren, würden sie an der Friedrichstraße stehen und sich für ein paar Groschen verkaufen müssen. Er fragte sich, ob Hedes Bordell und die Huren früher gepflegter gewirkt hatten oder ob er selbst kritischer geworden war. Mit dem festen Willen, das Gespräch mit Hede so rasch wie möglich hinter sich zu bringen, trat er in den Gang und blieb vor der Tür ihres Büros stehen.
Als er klopfte, vernahm er ein kühles »Herein!«.
Fridolin öffnete und sah Hede an ihrem Schreibtisch sitzen.
»Was willst du?«, fragte sie, ohne aufzusehen.
»Dir erst einmal einen guten Abend wünschen!«
Jetzt riss
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