Juliregen
es Hede beinahe von ihrem Stuhl. »Fridolin, du? Welch eine Freude! Oder muss ich Herr Graf zu dir sagen?«
»Untersteh dich!«, antwortete Fridolin lächelnd. »Ich freue mich auch, dich zu sehen.«
Hede bat ihn, die Tür zu schließen, und als dies geschehen war, umarmte sie ihn. »Entschuldige, aber es gibt ein paar unter meinen Mädchen, die mich sofort bei meinem Ehemann anschwärzen würden, wenn ich einen Herrn so begrüße. Lass dich anschauen. Gut siehst du aus! Das Leben als Bankier scheint dir zu bekommen.«
»Du siehst auch gut aus«, erklärte Fridolin.
In gewisser Weise stimmte das. Zwar war Hede ein wenig hager geworden, aber sie war immer noch ungewöhnlich schön, zumindest für eine Frau, die auf die vierzig zugehen musste. Er nahm aber auch die dunklen Schatten unter ihren Augen wahr, die ihm früher nicht aufgefallen waren, und den herben Zug um ihren Mund. Anton hatte recht – glücklich schien Hede nicht zu sein.
»Was darf ich dir anbieten, Cognac oder ein Glas Wein?«
»Ein Glas Wein!«
»Ich muss erst eine Flasche holen.« Hede wollte das Zimmer verlassen, doch Fridolin hielt sie auf.
»Keine Umstände! Ich nehme auch Cognac, wenn du welchen hier hast.«
»Den habe ich.« Hede trat an das kleine Hängeschränkchen und nahm die Karaffe und zwei Gläser heraus. Dabei dachte sie daran, dass sie vor ihrer Heirat jederzeit eines ihrer Mädchen rufen und diesem den Auftrag hätte erteilen können, eine Flasche Wein aus dem Keller zu holen. Nun aber würde ihr Mann es in dem Moment erfahren, in dem er den Fuß in die Tür gesetzt hatte.
»Ich möchte mich bei dir bedanken, Fridolin«, sagte sie aus ihrer trüben Stimmung heraus.
»Bedanken? Weshalb?«
»Für die Ratschläge, die du mir vor meiner Heirat erteilt hast. Wäre ich ihnen nicht gefolgt, wäre ich jetzt in meinem eigenen Bordell eine bessere Putzfrau, und mein Mann würde hier das große Wort führen. Das tut er zwar auch so, aber ich habe zumindest die Herrschaft über das Geld. Noch etwas: Manfred darf niemals erfahren, dass du für mich eine hübsche Summe bei eurer Bank angelegt hast. Er würde glatt von mir verlangen, es zurückzuholen, um einen richtigen Puff an einer verkehrsreichen Straße aufzumachen. Damit meint er ein Haus, in dem die Laufkundschaft die Mädchen zugrunde rammelt.«
»Wollte dein Mann denn nicht ein Bierlokal eröffnen?«, fragte Fridolin verwundert.
Hede antwortete mit einem bitteren Auflachen. »Das hat er behauptet. Damit hat er mich angeschwindelt, genau wie mit seinem angeblichen Vermögen. Um es offen auszusprechen: Er lebt von dem, was ich ihm gebe, und von den Gewinnen seiner Pferdewetten. Dabei redet er immer davon, bald genug Geld in Händen zu halten, um sich einen Palast leisten zu können.«
Nicht zum ersten Mal sann Hede einen Moment darüber nach, auf welche Weise ihr Mann wohl an eine größere Summe zu kommen gedachte, wischte den Gedanken jedoch rasch beiseite und sah Fridolin fragend an. »Du bist doch sicher nicht ohne Grund zu mir gekommen. Ist etwas mit deiner Frau?«
»Nein, Lore geht es prächtig! Sie macht mit den Kindern Ferien auf Nathalias Landgut. Sobald ich meine Aufgaben an Grünfelder und Dohnke übergeben kann, werde ich ihnen folgen und ebenfalls eine Weile dortbleiben.«
»Da bin ich beruhigt. Ich mag Lore nämlich sehr, auch wenn sie durch ihre bloße Existenz verhindert, dass meine Mädchen etwas an dir verdienen können.« Hede lachte, um zu zeigen, dass sie das nicht ernst meinte, und führte das Glas zum Mund. »Auf Lores Wohl und das Deine! Und jetzt sag frei heraus, was dich zu mir führt.«
Auch Fridolin trank einen Schluck Cognac. »Ich bin auf der Suche nach einem Mädchen, das wahrscheinlich als Hure arbeitet. Sie heißt Adele Wollenweber und stammt aus Eystrup bei Hoya. Diese Adele wurde von einem Freund des Gutsherrn auf Klingenfeld verführt und dazu gebracht, mit ihm nach Berlin zu gehen.«
»Muss sie deshalb gleich eine Hure sein?«
»Natürlich nicht! Aber der Mann, der sie mitgenommen hat, soll ein Zuhälter gewesen sein. Das Mädchen kam letztes Weihnachten noch einmal nach Hause, wurde aber von ihren Leuten als Hure beschimpft.«
Hede winkte lachend ab. »Bei Gott, das passiert vielen, die das Leben als Bauernmagd satthaben und in die Stadt ziehen, um dort in den Fabriken zu arbeiten. Die wenigsten von ihnen landen auf dem Strich.«
»Da magst du recht haben. Aber ich will trotzdem herausfinden, wo dieses Mädchen sich aufhält. Der
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