Juliregen
Ausschlag.
Hilma sank vor Hede in die Knie. »Bitte, Frau Laabs, jagen Sie mich nicht fort! Ich will nicht in einem dieser Puffs arbeiten müssen, in denen man zuschanden geritten wird. Wenn Sie wollen, tue ich alles für Sie. Ich lasse mich sogar schlagen und …« Hilma erstarb die Stimme, und sie brach in Tränen aus.
Hede musterte sie nachdenklich und verspürte mit einem Mal Mitleid. Sie brachte es nicht über sich, Hilma halbnackt auf die Straße zu jagen. »Sag mir, warum du gelauscht hast!«
Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte das Mädchen es wieder leugnen, doch dann brach es wie ein Wasserfall aus ihr heraus. »Ihr Mann hat mir und zwei anderen Huren den Auftrag erteilt, Sie zu überwachen. Da der Herr, der eben da war, früher anscheinend öfter hier zu Gast war, wollte ich hören, aus welchem Grund er zu Ihnen gekommen ist.«
Diese Aussage erschien Hede stimmig. Auch wenn ihr Mann sich das Recht herausnahm, sich jedes Mädchens im Bordell zu bedienen, war er äußerst eifersüchtig. Das lag weniger an Hedes Aussehen, denn auf diesem Gebiet konnte sie mittlerweile nicht mehr mit den jungen Huren ihres Hauses konkurrieren. Vielmehr wollte Manfred Laabs um jeden Preis verhindern, dass sie an einem anderen Mann Gefallen fand und ihn kurzerhand zum Teufel jagte.
»Also gut! Tun wir mal so, als würde ich dir glauben. Was würdest du meinem Mann über meinen Besucher berichten?«
»Ich hätte ihm gesagt, dass ein Herr bei Ihnen gewesen ist und mit Ihnen gesprochen hat, aber nichts anderes passiert wäre.«
Dies wöge in Manfreds Augen womöglich noch schwerer als eheliche Untreue, dachte Hede und wollte Hilma bereits auffordern, Fridolins Besuch zu verschweigen.
Doch die junge Hure fuhr bereits fort. »Ich kann Herrn Laabs aber auch sagen, dass ein früherer Stammkunde hier war und nach einem damals in Ihrem Haus beschäftigten Mädchen gefragt hat, und als er hörte, dass es nicht mehr hier sei, enttäuscht gegangen sei.«
Auf den Mund gefallen war Hilma nicht, sagte Hede sich und wurde verbindlicher. »Damit bin ich einverstanden. Aber vergiss nie, dass ich die Besitzerin dieses Hauses bin und mein Mann hier nichts zu sagen hat. Und jetzt noch zu etwas anderem: Ihr habt doch Kontakt zu anderen Huren und trefft euch gelegentlich in einem Bierlokal.«
»Ja, aber nicht oft, denn wer hier bei Ihnen arbeitet, will nicht zusammen mit anderen Huren gesehen werden. Immerhin ist es einigen Mädchen, die hier genug verdient haben, gelungen, in ein anständiges Leben zurückzukehren.«
»Ja, ich weiß. Dafür aber haben sie Preußen verlassen müssen und sind zum Teil bis Amerika gefahren, um dort ein neues Leben zu beginnen. Hast du auch schon an so etwas gedacht?«
Hilma nickte. »Ja! Aber es wird mir wohl nicht gelingen, denn mir rutscht das Geld, das ich verdiene, sofort wieder durch die Finger.«
»Dann solltest du sparen lernen. Ich bin bereit, die Hälfte des Geldes, das du verdienst, einzubehalten und es dir mit Zins und Zinseszins an dem Tag zu geben, an dem du mein Bordell verlässt. Doch nun noch einmal zu anderen Huren. Du bekommst ein Zwanzigmarkstück von mir, wenn du etwas über ein Mädchen namens Adele Wollenweber herausbringst.«
»Dela?«, fragte Hilma verblüfft.
»Du kennst sie?«
»Na ja, direkt kennen tu ich sie nicht. Aber ich habe sie ein paarmal in einem Lokal getroffen. Es ist kein sehr vornehmes Lokal, und ich würde normalerweise auch nicht hineingehen. Aber der Prinzipal, ich meine, Ihr Ehemann, hat mich und ein paar Mädchen dorthin eingeladen. Wir mussten dafür im Hinterzimmer ein paar seiner Freunde zur Verfügung stehen.«
Hilma sah nicht so aus, als hätte ihr das gefallen, und Hede versuchte, ihren Ärger nicht offen zu zeigen. Auch wenn sie mit Manfred Laabs verheiratet war, hatte dieser kein Recht, über ihren Kopf hinweg über ihre Mädchen zu bestimmen. Sie sagte jedoch nichts dazu, sondern forderte die junge Hure auf, von Adele Wollenweber zu berichten.
»Viel weiß ich nicht. Herr Laabs hat sie bei einem Aufenthalt auf dem Land getroffen und überredet, mit ihm in die Stadt zu kommen. Angeblich wollte er sie ins
Le Plaisir
bringen, hatte dann aber Angst, Sie könnten eifersüchtig sein und Dela schlecht behandeln. Deswegen schafft sie jetzt in einem anderen Bordell für ihn an.«
Hede atmete tief durch. So schnell hatte sie nicht geglaubt, Fridolin Auskunft geben zu können, und sie bedauerte es, dass er schon gegangen war. Also würde sie ihm
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