Juliregen
hatte.
Nach einer Weile sprach sie ihn an. »Nun, Herr Göde, gibt es etwas Schöneres als so einen gemütlichen Ausflug?«
Zwar konnte Jürgen sich im Augenblick tausend Dinge vorstellen, die diesen Ausritt übertrafen, doch er nickte bejahend. »Da haben Sie recht, gnädige Komtess. Der Anblick der Natur ist wunderbar, und vom Sattel aus überblickt man die Landschaft weitaus besser als zu Fuß!«
Da er bisher nur auf den Hals seines Hengstes gestarrt hatte, brachte diese Behauptung Nathalia zum Lachen. Dann aber streifte sie mit glitzernden Augen den sich unterfordert fühlenden Hengst. »Wenn Sie wollen, können Sie meinen Platz auf dem Gig einnehmen, und ich reite Ihr Pferd. Seien Sie versichert, ich kann es beherrschen.«
Jürgen schüttelte den Kopf. »Das glaube ich Ihnen gerne. Aber wenn ich das täte, würde ich mich endgültig als der Wackelwurm fühlen, für den meine Vettern mich halten.«
»Es ginge auch nicht, Nati. Du kannst mit deinem Kleid nicht im Herrensattel reiten«, wandte Lore ein.
»Das heißt, ich muss mir schnellstens ein Paar Hosen oder zumindest so einen Reitrock anfertigen lassen, wie ihn diese Frau bei der Reiterschau in Berlin trug«, gab Nathalia kichernd zurück. »Zur Not können wir beide ja noch ein wenig zusammenrücken, damit Herr Göde Platz findet, wenn er nicht mehr im Sattel sitzen kann. Oder aber er tauscht mit Drewes den Platz. Was ist, Herr Göde, würde es Sie nicht verlocken, unser Groom zu sein?«
»Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung, aber ein andermal. Jetzt ist es mein Auftrag, die Damen zu Pferd zu eskortieren, und das werde ich zu Ihrer Zufriedenheit tun«, antwortete Jürgen mit heldenhafter Selbstüberwindung.
Seine Worte reizten Nathalia, und ehe Lore sichs versah, nahm sie dieser die Zügel ab und ließ die Peitsche über die Ohren des schwarzen Wallachs pfeifen. Das Tier wurde sofort schneller und ließ Jürgen und seinen Hengst ein ganzes Stück hinter sich.
Lore funkelte ihre Freundin zornig an. »Das ist nicht sehr nett!«
»Ich habe nie danach gestrebt, als nett zu gelten«, gab Nathalia unbekümmert zurück. »Außerdem will ich sehen, wie unser Begleiter sich macht.«
»Für einen Bücherwurm recht ordentlich«, sagte Drewes, der den jungen Mann nicht aus den Augen ließ.
Eben gab Jürgen dem Hengst die Sporen, tat allerdings des Guten zu viel, denn das Tier fiel ansatzlos in den Galopp. Zwar gelang es Jürgen, im Sattel zu bleiben, doch schoss er an Lores und Nathalias Wagen vorbei und brachte sein Pferd erst ein ganzes Stück weiter vorne zum Stehen.
Lachend ließ Nathalia den Wallach schneller traben und holte Jürgen in wenigen Minuten ein. »So ein Galopp ist doch etwas Schönes, nicht wahr, Herr Göde?«, fragte sie spöttisch.
Lore hätte ihr dafür ein paar Ohrfeigen verpassen können, denn Jürgen sah aus, als wäre er eben dem Teufel von der Schippe gesprungen.
Trotzdem versuchte der junge Mann zu lachen. »Mit einem forschen Galopp hapert es bei mir noch arg. Doch ich hoffe, während meines Aufenthalts auf Nehlen besser reiten zu lernen. Dies wäre nicht zuletzt im Hinblick auf meine Teilnahme an archäologischen Expeditionen von Vorteil.«
»Das lernen Sie schon, junger Mann«, erklärte Drewes gönnerhaft und gab Jürgen ein paar Anregungen, wie er sich das Reiten erleichtern konnte. »Sie wollen ja gewiss nicht – die Damen mögen verzeihen – mit wundgerittenem Hintern nach Nehlen zurückkehren.«
»Darüber möchte ich lieber nicht sprechen!« Jürgen verspürte bereits ein gewisses Brennen auf dem genannten Körperteil, war aber nicht bereit, dies zuzugeben.
Nathalia bedachte ihn mit einem anerkennenden Blick. »Sie machen sich für einen Stadtfrack wirklich ganz ordentlich, Herr Göde. Ich kenne Männer, die schon deutlich länger reiten als Sie und immer noch wie nasse Säcke auf ihren Gäulen hängen.«
»Danke, das hört man gerne!« Jürgen straffte sich unwillkürlich, und als es weiterging, fühlte er sich im Sattel nicht mehr ganz so fremd. Da Nathalia nun ein gemächlicheres Tempo einschlug, konnte er sich sogar an dem gemeinsamen Gespräch beteiligen und war wohl von allen am meisten überrascht, als nach nicht allzu langer Zeit die Gebäude von Klingenfeld vor ihnen auftauchten.
XIV.
L ore kannte das emsige Treiben, das auf Steenbrook und Nehlen herrschte. Dagegen erschien Klingenfeld so verlassen, als hätte eine Seuche alle Bewohner dahingerafft. Im ersten Augenblick war sie erschrocken, doch dann
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