Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
die Sippe seine Unterstützung brauchte, so würde sie diese bekommen. Familie war schließlich Familie. Egal, ob sie ihm beständig auf die Nerven ging oder nicht. Wenn er irgendwie dazu beitragen konnte, Gisela auf freien Fuß zu bekommen, so würde er das machen. Aber selbstverständlich erst nach dem Frühstück.
Nach kurzer Fahrt war er wieder in Dernau. Und nachdem er den Anruf bei der Kripo vier verschiedenen Verwandten geschildert hatte, stand er erneut in der Kelterhalle. Die Mittagssonne strahlte durch das in die Wellblechdecke eingelassene Plexiglas. Der französische Maischebottich wirkte noch grandioser, noch pompöser als am gestrigen Abend. Fast kam Julius sich vor wie in einem Museum für moderne Kunst, so zielgenau schoss das Licht auf das hölzerne Wunderwerk, den Staub dabei wie kleine Schneeflocken erhellend.
Er ging noch einmal die Leiter zum Bottich hinauf. Die Maische war mittlerweile abgelassen worden und der Innenraum vom Kellermeister gereinigt. Alles roch nach Reinigungsmittel. Julius blickte die Stufen hinunter. Gisela sollte Siggi hier hoch gehievt haben? Unwahrscheinlich. Dafür war Siggi, der allen leiblichen Freuden gegenüber offen gestanden hatte, viel zu schwer.
Vor dem Fenster zur Straße blieb Julius stehen und jagte seinen Gedanken nach, die wie Hasen Haken schlugen. Er bekam keinen zu fassen. Wenn er doch nur wüsste, wer einen Grund gehabt hatte, Siggi zu ermorden! Vielleicht war es ja ein besoffener Ahrschwärmer gewesen, so einer wie jetzt vor dem Weingut stand. Einer mit kaum benutzten Wanderstiefeln, roten Socken, Kniebundhosen und viel zu dickem Norweger-Pullover. Der Mann hatte wirklich Traute! Stand da dreist vor dem Haus eines erst gestern ermordeten Winzers und starrte unverfroren hinein. Ein merkwürdiges Männchen war das. Topfschnitt und Buddy-Holly-Brille – das wirkte mehr als nur ein wenig weltfremd. Jetzt kam er auch noch näher! So viel Impertinenz war Julius zu viel. Er öffnete das Fenster und wollte gerade etwas rufen, als der Mann mit staksenden Bewegungen davonlief. Leute gab es. Das Ahrtal war doch kein Zoo, wo jeder gaffen konnte, wie er wollte! Wütend schloss Julius das Fenster.
Als er sich umdrehte, entdeckte er ein Fass in der Ecke, das nicht ganz exakt in Reihe lag. Eigentlich ging ihn das natürlich nichts an, aber solche Unordnung durfte einfach nicht sein! Also rückte er das schwarze Schaf zurecht. Zur Kontrolle schaute er noch einmal von beiden Seiten, ob jetzt auch alles passte. Perfekt! Aber hatte das Fass nicht einen Fleck? Oder war das ein großes Astloch? Solche mindere Qualität hätte Siggi doch nie genommen! Julius ging näher heran und beugte sich so weit vor, wie es sein frisch befrühstückter Bauch zuließ. Es war kein Fleck. Es war kein Astloch. Es war rote Farbe, mit der etwas auf das Fass geschrieben war. Julius griff mit beiden Händen den vorstehenden Daubenrand und drehte das Fass. Das knirschende Geräusch hallte von der hohen Decke wider.
Julius konnte nicht glauben, was er sah.
Ein schriller Schrei verriet ihm, dass Annemarie zwischenzeitlich den Raum betreten und die Schrift ebenfalls gelesen hatte.
»Mein Gott, wer hat denn das geschrieben? Das war bestimmt der Mörder!«
Julius starrte ungläubig auf die Schrift, die säuberlich, in großen, altdeutschen Lettern auf das Fass gepinselt war. Der Täter musste eine Schablone benutzt haben, denn kein Farbspritzer fand sich neben dem Wort »
Verräter!
«. Julius musste Annemarie Recht geben. Wer das geschrieben hatte, war auf Siggi bestimmt nicht gut zu sprechen gewesen. Aber warum war das Fass so gedreht, dass es niemand lesen konnte? Es gab einen Mann, der ihm vielleicht weiterhelfen konnte.
Er fand ihn in den Rebhängen am Trotzenberg, oberhalb von Marienthal. Er maß gerade das Mostgewicht der Trauben. Jetzt, da der Chef nicht mehr war, fiel auch das in seinen Aufgabenbereich. Normalerweise hätte sich Julius gefreut, mal wieder hier hochgekommen zu sein. Der Blick war traumhaft und brachte ihm immer wieder zu Bewusstsein, warum er diesen Landstrich so liebte. Die bedächtig und ohne Hast fließende Ahr direkt zu Füßen, die aus dem 12. Jahrhundert stammende pittoreske Ruine des Augustinerinnenklosters in Marienthal zum Greifen nah, unter, über und neben ihm Wein, Wein, Wein. Und diese Stille. Nur der Wind, der die Trauben trocken hielt und durch die Weinberge tollte wie ein übermütiger Hund. Das Wetter war nun schon seit Wochen prächtig. Es versprach ein
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