Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
diesen Taten abbringen.
Einige Eltern haben mich gebeten, Siegfried künftig von Klassenfahrten und Ausflügen auszuschließen. Falls sich sein Verhalten nicht bessert, sehe ich mich gezwungen, entsprechende Schritte einzuleiten.
Ich möchte Sie hiermit auffordern, mäßigenden Einfluß auf Ihren Sohn auszuüben. Dies wäre vor allem deshalb zu wünschen, weil Siegfried einer der besten Schüler der Klasse ist. Seine Leistungen sind in fast allen Fächern überdurchschnittlich.
Es wäre ein Verbrechen, wenn einem so begabten Kind durch Jugendsünden die Zukunft verbaut würde. Aber auf Dauer wird sich sein Benehmen zweifellos negativ auf die Benotungen auswirken.
Hochachtungsvoll
Karl-Heinz Wolfshohl
(Schulleiter)
Dass dieser Brief gerahmt an der Wand hing, dachte Julius mit einem Schmunzeln, sagte noch mehr über den Rotweinmagier aus als der Inhalt. Und der war schon die beste Beschreibung, die er je über Siggi Schultze-Nögel gehört hatte.
Darunter hing ein Schwarzweißfoto, das ihn zwischen dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und Udo Lindenberg zeigte. Beide wirkten blass neben Siggi Schultze-Nögel. Er hatte einfach diese Ausstrahlung, dieses Leuchten eines Gewinners, dieses »Alle Scheinwerfer auf mich!«. Eigentlich sah er mehr wie ein Italiener aus und nicht wie ein waschechter Eifeler. Er hatte Julius immer an den Stardesigner Colani erinnert, der auch stets laut auftrat, sich niemals in eine Ecke stellte und Gläser in einem Zug leerte.
Siggi trug auf dem Foto seine Lieblingsmaske. Ein Lachen.
Noch bevor Julius sich setzen konnte, kam ein weiterer Schatten auf ihn zu. Aus dem dunklen Gang, der zu den Weinfässern führte, drangen schnelle Schritte, und die Konturen seiner Großkusine schälten sich aus dem Zwielicht. Der Kajal um die Augen war verschmiert, aber sie versuchte merklich, Haltung zu bewahren. Gisela schloss ihn in die Arme. In diesem Moment der Nähe kam Julius ihre gemeinsame Geschichte wieder in den Sinn. Wie es früher war, als sie noch jung, oder besser: klein gewesen waren und ihre Eltern zusammen in Urlaub gefahren waren. Wie er mit Gisela in Italien am Strand gespielt hatte. Wie sie danach ganze Sommer miteinander verbrachten und auch Herbst und Winter, wie sie als Kinder am Martinstag gemeinsam um die Häuser gezogen waren. »Dä hillije Zintemätes« war ihr liebstes Lied gewesen. Sie hatten sich sehr nah gestanden, fast wie Bruder und Schwester. Doch dann waren sie auf verschiedene Schulen gegangen, hatten andere Freunde gefunden. Und plötzlich war es ein Thema gewesen, ob man aus Dernau oder Heppingen kam. Heutzutage hatten sie nicht mehr viel miteinander zu tun, aber diese Verbundenheit war noch da, deren Wurzeln vor so langer Zeit gepflanzt worden waren. Julius nahm sich in diesem Moment fest vor, sich wieder mehr um Gisela zu kümmern. Und es erschien ihm wie ein Rätsel, warum sich zwei Menschen, die sich so mochten, so weit hatten auseinander leben können.
Gisela lockerte ihre Umarmung. »Schön, dass du da bist.«
»Es tut mit sehr Leid, was mit Siggi passiert ist.«
Gisela nickte. Sie ist eine starke Frau, dachte Julius, auch in dieser schweren Situation.
Sie wandte sich zur Familie. Erst jetzt fiel Julius die in Gold beschriebene Magnumflasche auf, die Gisela in der Hand hielt.
»Kommt, lasst uns trinken. Siggi hätte das gewollt … Hier, sein Lieblingswein, die 99er Dernauer Pfarrwingert Spätburgunder Auslese ›Aurum‹. Sein ganzer Stolz …«
Sie hob die Flasche mit merklicher Anstrengung hoch. Julius konnte sehen, wie die Trauer an ihren Kräften nagte.
»Lasst uns auf ihn anstoßen …«
Gisela schaffte es nicht, die Gläser zu füllen. Ein Weinkrampf durchschüttelte sie. Jupp griff die Flasche und leerte sie in die vorbereiteten Gläser. Wie Julius bemerkte, goss er sich selbst am meisten ein.
Nachdem Julius alle begrüßt hatte, stieg er die Treppe zur Kelterhalle hinauf. Einerseits konnte er so viel Trübsal auf einmal nicht ertragen, andererseits wollte er endlich wissen, was passiert war. Zwei Männer in weißen Ganzkörperanzügen, wohl Beamte der Spurensicherung, standen in der Ecke und rauchten. Sie nahmen keine Notiz von ihm. Ansonsten lag der Raum still, als wäre nie etwas Ungewöhnliches geschehen. Der süße Duft vergärender Maische lag schwer und beruhigend über der Szenerie. An den Seiten aufgereiht ruhten Barrique-Fässer, den Raum einrahmend, in dessen Mitte die hölzerne Neuerwerbung aus Frankreich stand. Eine
Weitere Kostenlose Bücher