Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
Tür.
»Ich hab dich schon kommen sehen, Julius. Rein mit dir! – Ist das zu glauben? Wer macht so was? Kannst du mir sagen, wer so was macht? Ich fass es nicht, ich fass es einfach nicht! Er war ein großer Mann, ein echter Künstler! Was er alles fürs Tal getan hat!«
Da hatte er Recht, was hatte Siggi nicht alles fürs Tal getan. Damals als Erster mit den kleinen französischen Fässern angefangen, den Barriques, ohne die Rotweine internationaler Qualität gar nicht möglich waren. Noch wichtiger war sicherlich, dass er eine neue Ideologie etablierte: Klasse statt Masse. Das war schwer in die Köpfe derer zu kriegen, die jahrzehntelang andersherum gedacht hatten. Und er hatte die Türen geöffnet für höhere Verkaufspreise. Er hatte sich einfach getraut, mehr zu verlangen. »Qualität muss kosten!«, war sein Leitspruch gewesen. Siggi hatte die Wege geebnet, über die alle Folgenden dann gegangen waren.
Aber nicht nur deswegen hatte die Region einen großen Verlust erlitten, dachte Julius betrübt. Sie hatte auch einen besonderen Menschen verloren. Einen, wie es ihn kein zweites Mal gab. Julius’ Beziehung zum Rotweinmagier war stets vom Geschäft bestimmt, und doch waren die Treffen mit Siegfried Schultze-Nögel immer etwas Besonderes gewesen. Sie würden ihm fehlen.
Wie ein stählernes Hundehalsband schloss sich Onkel Jupps Hand um Julius’ Nacken und zog ihn hinein in die dunkle Stube. Aufgereiht wie Hühner hockte die Sippe da, die Blicke zu Boden gesenkt. In einer Ecke fanden sich auch die polnischen Erntehelfer, denen die Unsicherheit angesichts der tragischen Situation deutlich anzumerken war. Der kleine holzgetäfelte Raum wirkte mit den vielen Menschen eng wie eine Sauna. Nur dass keine Nackten darin saßen, sondern die Landplage, die es für angebracht hielt, in den besten Kleidern und Anzügen ihre Aufwartung zu machen. Onkel Jupp redete unverdrossen weiter auf Julius ein, dankbar für ein frisches Opfer:
»Wer bringt so einen um? Im neuen Maischebottich, ist das zu glauben?« Er boxte ihn auf die Brust. »Den hat der Siggi erst dieses Jahr aus Frankreich geholt. Ist schon ein tolles Ding. Fasst über dreitausend Liter! Stell dir das vor! Und das Holz ist ganz fein gemasert! Allererste Qualität, sag ich dir. Da muss der Wein gut drin werden. Ich mein, den Frühburgunder, der drin war, kannst du jetzt natürlich vergessen. Schade drum!«
Aus der hintersten Ecke der Sauna löste sich ein bulliger Schatten, rollte mit zwei schweren Schritten heran und baute sich vor Jupp auf.
»Kannst du vielleicht endlich mal deine Schnüss halten?! Der Siggi ist tot, und du erzählst hier über den Maischebottich! Bist du noch ganz beisammen?«
Es war Willi, der jede Gelegenheit nutzte, den ungeliebten Verwandten zusammenzustauchen. Onkel Jupp drehte sich darauf pikiert um und nahm vor dem Fenster Stellung, um weitere Neuankömmlinge in Empfang zu nehmen.
»Von dir lass ich mir doch überhaupt nix sagen!«, murmelte er in seinen Zigarettenrauch.
Willi zog sich wieder auf seinen Platz zurück, um weiter den Boden anzustarren.
Julius’ Blick fiel auf ein in Gold gerahmtes Dokument, das im Eingangsbereich des Verkostungsraumes hing. Er hatte es früher schon gesehen, aber noch nie die Zeit gefunden, es zu lesen. Es war in einer Handschrift verfasst, wie sie heute nicht mehr zu finden war. Jeder Buchstabe ein Kunstwerk.
Sehr geehrte Frau Schultze-Nögel,
leider sehe ich mich genötigt, diesen Brief an Sie zu schreiben. Die Beschwerden, die von Lehrern, Eltern und Mitschülern bezüglich Ihres Sohnes Siegfried an uns herangetragen wurden, haben sich in einem unerträglichen Maße gehäuft. Ihr Sohn stört wiederholt den Unterricht, indem er unflätige Bemerkungen dazwischenruft oder Geräusche verursacht, die an Flatulenz erinnern. Es vergeht kaum ein Tag ohne einen Eintrag ins Klassenbuch. Häufig muß Siegfried des Raumes verwiesen werden, damit seine Mitschüler einem geordneten Unterricht folgen können. Dies ist nicht zu dulden.
Auch in den Pausen kommt es vermehrt zu unerwünschten Handlungen seitens Ihres Sohnes. So hat mich die Klassenlehrerin, Frau Hohenschurz, davon in Kenntnis gesetzt, daß er mehrmals Mitschülerinnen auf den Mund geküßt hat! Weiterhin sind Zettel mit unanständigen Witzen aufgetaucht, die von Ihrem Nachwuchs stammen.
Er ist seinen Mitschülern nicht nur ein schlechtes Beispiel, sondern verführt auch zu unratsamem Verhalten. Das Nachsitzen konnte ihn bislang nicht von
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