Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
konnte. Dieser Umstand prädestiniert sie dazu, Neues abzuspeichern – und damit arbeiten diese jungen Nervenzellen gegen den Alterungsprozess der alten Nervenzellen an. Gerd Kempermann, ein ehemaliger Mitarbeiter von Fred Gage, hat die Hypothese aufgestellt, dass neue Zellen es dem Menschen ermöglichen sich an immer neue Situationen anzupassen – ohne ältere Erlebnisse löschen zu müssen. Dazu passt auch, dass vielfältige Reize, Lernen und Bewegung die Neurogenese bzw. den erfolgreichen Einbau von neuen Nervenzellen in bestehende neuronale Verbindungen verbessern. Je mehr neue Zellen man im Alter noch bilden kann, umso mehr neue Ereignisse kann man speichern – ganz nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. Oder anders ausgedrückt: Wer Neues gelernt hat, dem wird weiterer Speicherplatz im Gehirn geschenkt, so wie bei einer Festplatte, die wachsen würde, je mehr sie belegt ist. Daraus ergibt sich, dass die neuen Neuronen den alterungsbedingten Verlust von Nervenzellen im Hippocampus kompensieren können, da sie ein Reservoir, ein hochplastisches zumal, zur Verfügung stellen, welches den Verlust von Synapsen und Nervenzellen ausgleichen kann.
Nun ist die Frage, welche Lernereignisse diese gehirneigene Neubildung von Nervenzellen anregen können, schließlich erleben wir in einem bestimmten Umfang jeden Tag Neues und lernen entsprechend dazu. Wie man heute weiß, funktioniert Lernen analog zum Fitnesstraining: Wir bewegen uns jeden Tag und benutzen z. B. beim Heben der Kaffeetasse unseren Bizepsmuskel im Oberarm. Dieser wächst aber nur dann zu einem beträchtlichen Umfang heran, wenn er intensiv trainiert wird. Genauso muss man dreimal die Woche für 30 Minuten einen bestimmten Puls (etwa 130 Schläge pro Minute) erreichen, um einen positiven Effekt auf Herz und Gehirn beobachten zu können. Und auch dies geschieht nur, wenn beim sportlichen Training große Muskelgruppen angesprochen werden.
Ähnlich verhält es sich beim kognitiven Training: Bestimmte Übungen trainieren nur ganz gezielt einzelne Areale des Gehirns. Dies gilt für Sudokus ebenso wie für Kreuzworträtsel und auch für die meisten Spielkonsolen, die »Gehirnjogging« im Untertitel führen. Sie trainieren nur Spezialfähigkeiten, in denen man zwar besser wird, je häufiger man die Aufgaben ausführt; auf andere kognitive Tätigkeiten wirken sie sich jedoch nicht aus, und schon gar nicht können sie generell das Gehirn verjüngen. Gleiches gilt für spezielles Gedächtnistraining: Wer Zahlenreihen auswendig lernt, wird darin besser, Zahlen zu memorieren, wer Wortlisten auswendig lernt, wird besser, Wörter zu erinnern – aber, soweit man das bisher wissenschaftlich beurteilen kann, leider in keiner anderen Fähigkeit. Dies belegt auch eine Studie, die 2010 in einem der führenden amerikanischen Wissenschaftsjournale, Nature , veröffentlicht wurde und an der 11 000 Probanden im Alter zwischen 18 und 60 Jahren teilgenommen haben; es handelte sich also nicht um eine Altersstudie. Nach der sechswöchigen Gehirnjogging-Phase nach Art eines handelsüblichen Gehirnjogging-Spiels absolvierten die Probanden verschiedene kognitive Trainingsprogramme. Das Resultat war, dass die Teilnehmer jeweils in der speziell geübten Denkdisziplin besser geworden waren, nicht aber in anderen kognitiven Tests. »Wir sind uns sicher, dass sechs Wochen regelmäßiges Gehirntraining nicht mehr Vorteile hat, als im Internet regelmäßig etwas nachzuschlagen«, so der Leiter der Studie Adrian Owen.
Allerdings hatten die Versuchsteilnehmer auch nur dreimal die Woche zehn Minuten mit den Tests verbrachten, und keiner der Teilnehmer war älter als 60 Jahre gewesen, so dass hier die Frage offenbleiben muss, wie sich das Training auf das alternde Gehirn auswirkt. Diese sehr prominente Studie ist also in ihren Ableitungen für das alternde Gehirn mit Vorsicht zu interpretieren, da es eine Reihe von Befunden gibt, die belegen, dass Lernen und Gehirntraining auf das alternde Gehirn generell positive Effekte haben. Was diese Studie aber sicher zeigt, ist, dass man sein Gehirn intensiv trainieren muss, um messbare Effekte zu erzielen, und dass es wichtig ist, das Arbeitsgedächtnis zu beanspruchen und nicht nur singuläre Fähigkeiten wie Kreuzworträtsellösen oder Gedächtnisspiele am Computer zu üben. Dennoch spricht natürlich nichts dagegen, sich Letzteren zu widmen, wenn man an ihnen Freude hat. Denn Spielen per se und Freude am Leben sind ebenfalls
Weitere Kostenlose Bücher