Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
gegenüber dem künstlerischen Schaffen zu sein. All dies sind wunderbare »Übungen« für den Stirnlappen.
Umgekehrt gilt aber auch: Unsere kognitive Leistungsfähigkeit lässt nach, wenn wir unser Gehirn weniger benutzen und anregen. Die beste Methode, das Gehirn und insbesondere dessen Stirnlappen und seine Gedächtnissysteme weiter anzuregen, besteht darin, es zu benutzen, und zwar tagtäglich. So konnte Ulman Lindenberger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin zeigen, dass soziale Teilhabe das Alzheimer-Risiko vermindert und zudem kognitiv fit hält. Umgekehrt ist soziale Isolation ein hoher Risikofaktor für schnelles kognitives Altern und erhöht das Risiko, an Alzheimer zu erkranken (untersucht wurden 516 Probanden im Alter von 70 bis 100 Jahren). Er hat die Studienteilnehmer danach gefragt, ob und wann sie andere Menschen trafen oder ein Restaurant besuchten, welchen Hobbys und kulturellen Veranstaltungen sie nachgingen, wie oft sie verreisten und ob sie karitativ tätig waren. Das überraschendste Ergebnis aller Alzheimer-Studien der letzten Jahre war: Kognitive Funktionen bleiben am besten erhalten, wenn man auch im Alter noch viele soziale Beziehungen pflegt. Das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, kann deutlich vermindert werden, wenn Menschen viel reisen, einem Verein angehören, einen großen Freundeskreis haben und karitativ tätig sind.
Jetzt könnte man sagen, am Ende ist das Leben doch gerecht. Neurobiologisch würde man diesen Umstand eher folgendermaßen erklären: Gerade soziale Beziehungen umfassen einen ganzen Strauß an kognitiven Herausforderungen, die das Gehirn, vor allem den Stirnlappen, aktivieren, und diese Aktivierung führt erst dazu, dass das Gehirnniveau gehalten werden kann. Zusammen genommen erlauben soziale Beziehungen, Gedächtnisinhalte zu pflegen, Lücken aufzuspüren, sich manchmal aber auch zu vergleichen und auszutauschen über die vertrackten Fallen der Vergesslichkeit. Das kann durchaus beruhigen. Vor allem trainieren wir den Stirnlappen, denn wer sozial engagiert ist oder reist oder sich mit Freuden trifft, muss kommunizieren und Entscheidungen treffen, sich konzentrieren, und damit werden, um es salopp auszudrücken, die Nervenzellen im Stirnlappen permanent auf Trab gehalten. Gerade Kommunikation mit anderen Menschen fordert dem Gehirn viel mehr ab, als wir ahnen und Wissenschaftler selbst noch vor wenigen Jahren geglaubt haben. Denn bedenken Sie: Bis zu 80 % aller menschlichen Kommunikation ist nicht verbaler Natur. Das Gehirn muss die Gefühle und Absichten nicht nur aus den Worten anderer Menschen ablesen, sondern auch aus der Geschichte, die man mit diesen Menschen teilt (Gedächtnis), und aus der Gesichtsmimik. Unbewusst spielen Gefühle eine wichtige Rolle, Intonation und Körperhaltung gehen mit ein, außerdem die Analyse dessen, was man sieht, riecht, fühlt und hört. Insbesondere das orbitofrontale Stirnlappengebiet ist hier stark involviert und wird durch Kommunikation und Interaktion mit anderen aktiviert und hält sich damit selbst länger fit.
Strukturierte Trainingsprogramme für das Gehirn
Lern- und Gedächtnisübungen sollten nach Möglichkeit in den Alltag eingebettet sein, dies bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass strukturierte Trainingsprogramme, wie sie in manchen neurologischen Praxen angeboten werden, nutzlos sind.
So evaluieren Wissenschaftler seit 2007 gleich mehrere große Trainingsprogramme: In den Laboren von Michael Merzenich (San Francisco) und Scott Small (New York) werden ältere Menschen, die leichte kognitive Störungen ( MCI ) haben, in eine Art computerbasiertes Gehirnfitnessstudio geladen und dort jeden Tag für eine Stunde hinsichtlich Merkfähigkeit, Konzentration, Multitasking, räumlichem Vorstellungsvermögen und Bildgedächtnis trainiert. Der Anspruch dieser Programme ist, generell die Gehirnleistung zu stärken und eben nicht nur Spezialfähigkeiten zu trainieren. Und in der Tat könnte dies in dieser Intensität (jeden Tag) und Länge (mindestens eine Stunde) auch funktionieren. Zum einen erzwingen die strukturierten Programme, dass die Gehirne älterer Menschen sich längere Zeit und unter Anleitung (allerdings auch unter Aufsicht) mit einem Problem beschäftigen müssen, sprich, sie müssen den Autopiloten des Denkens, der ohne Stirnlappen funktioniert, ausstellen und müssen ihren Stirnlappen aktivieren. Dies hat möglicherweise mehrere positive Konsequenzen:
■die Exekutivfunktion des
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