Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
die reine Rechenkapazität des Gehirns abnimmt. Darüber hinaus ist das alternde Gehirn, was wiederum die Reaktionszeit, die Rechengeschwindigkeit, das Arbeitsgedächtnis und die Prozessierung aller eintreffenden neuen Reize beeinflusst, langsamer. Das erklärt auch, warum die Mechanik des Gehirns beeinträchtigt ist: Das Gehirn braucht länger und muss mehr Ressourcen hinzuziehen, wenn wir Sinnesinformationen verarbeiten, Bewegungen koordieren oder über ein Problem nachdenken.
Wie das Gehirn altert
Die Gehirnalterung verläuft nicht einheitlich. Sie ist vergleichbar mit dem Alterungsprozess der gesamten menschlichen Muskulatur oder des Knochenapparats des Menschen, auch hier sind einige Gelenke, wie Knie oder Schulter, manchmal stärker betroffen als andere. Analog dazu zeigen auch die verschiedenen Areale des Gehirns ein unterschiedliches Alterungsverhalten – und genau wie beim Muskelapparat führt Training in bestimmten Gehirnbezirken zu Wachstumsprozessen, die Alterungsprozesse abpuffern können. Insgesamt gilt: Je evolutiv jünger die Gehirnregionen sind, umso schneller altern sie. Und das Gehirn altert in den vorderen Teilen schneller als in den hinteren (Abb. 10); in seinem Fundament dagegen, dem Hirnstamm, altert es so gut wie gar nicht.
Abbildung 10: Übersicht altersbedingter Gehirnveränderungen
Dieses grobe Schema zeigt die Anteile des Gehirns, die im Alter Umbauprozessen unterliegen. Die evolutiv jüngsten Hirnareale – der untere Teil des Schläfenlappens (inferotemporaler Cortex), der Hippocampus, der untere Teil des Scheitellappens (inferoparietaler Cortex) und der vorderste Teil des Stirnlappens (präfrontaler Cortex) – sind zuerst von Alterungsprozessen betroffen. Der motorische Cortex und die Gehirnareale, die sich mit der Verarbeitung von Sinnesinformation befassen, sind wesentlich weniger davon beeinflusst.
Je länger eine Struktur braucht, um myelinisiert zu werden, umso alters anfälliger ist sie. Die rechte Hemisphäre altert stärker als die linke Hemisphäre. Andere Hirnregionen, wie das Stammhirn und der Hinterhauptslappen, sind weniger von Alterungsprozessen betroffen.
Kommen wir zurück zu der Frage, warum das Arbeitsgedächtnis im Alter schlechter wird, warum uns Multitasking schwerer fällt und wir so leicht ablenkbar sind. Wie wir gesehen haben, altern der Stirnlappen und der Hippocampus schneller als andere Gebiete des Gehirns: Die Nervenzellen im präfrontalen Bereich verlieren ihre Isolierschicht um die Axone (Beeinträchtigung der Rechengeschwindigkeit), es kommt insgesamt zu einem Verlust von Nervenzellen (Abnahme der Rechenkapazität). Dies hat zur Konsequenz, dass wir prozentual mehr Gehirnressourcen benötigen, um eine Aufgabe zu lösen. Mit anderen Worten: Im Alter beanspruchen alltägliche Handlungen prozentual gesehen mehr Kapazität des Gehirns als in jungen Jahren. Darüber hinaus sinkt der Dopaminspiegel, einer der wichtigen Turbolader im Gehirn; Dopamin wird besonders im Stirnlappen ausgeschüttet und steuert die selektive Aufmerksamkeit (Abb. 11).
Abbildung 11: Wachheit und selektive Aufmerksamkeit
Das vordere Aufmerksamkeitssystem wird von Strukturen gebildet, die zu den Basalganglien gerechnet werden und Dopamin als Botenstoff benutzen, sowie von präfrontalen Cortex, der im Stirnlappen liegt. Das hintere Aufmerksamkeitssystem (befasst mit Arousal, der generellen Wachheit) wird gebildet aus Strukturen des Zwischenhirns, vor allem dem Thalamus und dem Scheitellappen.
Der Mangel an Dopamin führt zu einer Verminderung der selektiven Aufmerksamkeit (einige Reize bekommen Vorfahrt, andere werden aktiv unterdrückt). Die Folge ist: Die Fähigkeit von Menschen jenseits der 55, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, lässt im statistischen Mittel nach. Noch gravierender ist jedoch, dass das Gehirn nicht mehr so gut eingehende Signale filtern kann, was ja eine wichtige Voraussetzung der selektiven Aufmerksamkeit ist. Dadurch sind ältere Menschen leichter ablenkbar und verlieren schneller den Faden, wenn sie beim Erzählen oder Nachdenken gestört werden.
Variable Leistungsfähigkeit im Alter
Generell kann man festhalten, dass Genie und Talente eine Sache der Jugend, während Weisheit und Kompetenz Kennzeichen eines alten Gehirns sind. Junge Menschen wagen etwas, während ältere Menschen eher Stabilität suchen. In der ersten Lebenshälfte sind wir schneller, in der zweiten weiser. Dabei ist bemerkenswert, wie stark die Leistungsfähigkeit im Alter schwanken
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