Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
kann: Die Bandbreite ist bei Menschen jenseits des 60. Lebensjahres größer als in jüngeren Jahren. So können 70- oder 80-Jährige im kognitiven Bereich noch die durchschnittliche Leistungsfähigkeit eines 50- oder 60-Jährigen aufweisen. Umgekehrt können Menschen mit 60 aber auch schnell kognitiv altern, so dass sie eher der Leistungsgruppe der 70- bis 80-Jährigen zuzurechnen sind. Welche Gehirnmechanismen liegen dem zugrunde?
Neben genetischen Faktoren spielt der Lebensstil bei der großen Variabilität im Alter eine entscheidende Rolle, wie in Kapitel 8 ausführlich erläutert wird. Zwar altert unser Gehirn unausweichlich, aber, um es personifiziert auszudrücken, das Gehirn schaut dem eigenen Verfall nicht tatenlos zu, es bleibt bis in das hohe Alter hinein plastisch (formbar). Wenn der rechte präfrontale Cortex mit zunehmendem Alter weniger Rechenkapazität zur Verfügung hat, um neue Informationen zu verarbeiten, wird anders als bei jungen Menschen, die bestimmte Aufgaben nur mit der rechten Hemisphäre erledigen, kurzerhand der linke präfrontale Cortex mit hinzugeschaltet. So wie ein kleines Kind, welches beim Tragen eines Koffers beide Hände benutzen muss, während ein Erwachsener dies locker mit einer Hand schafft – und dennoch haben beide die Aufgabe gleichermaßen bewältigt.
Laboreinsicht: Wie viele Punkte erkennen Sie noch?
Es lohnt exemplarisch ein Einblick in die Labore zu wagen, die einige der oben gemachten Aussagen erforscht haben: In einem Experiment bearbeiteten junge Probanden (20 bis 30 Jahre) und ältere Probanden (zwischen 60 und 70 Jahre alt) eine Aufgabe, die das Arbeitsgedächtnis fordert. Die Probanden sollten sich, während sie in der Röhre des Kernspintomographen lagen, kurzfristig die wechselnde Position von Punkten auf einem Bildschirm merken. Dabei erschienen unterschiedlich viele Punkte an bestimmten Positionen des Bildschirms, verschwanden wieder, und neue Punktewolken tauchten auf – und genau dieses Positionsmuster musste zur Bearbeitung der Aufgabe im Arbeitsgedächtnis zwischengespeichert werden. Die Probanden mussten angeben, welche Punkte an der gleichen Position leuchteten und welche nicht. Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wurde während des Versuchs die Gehirnaktivität gemessen. Wie sich zeigte, wuchs bei jüngeren Erwachsenen die Gehirnaktivität, je schwieriger die Aufgabe war. Sich die Position vieler Punkte zu merken ist logischerweise neuronal aufwendiger, als sich nur an einen Punkt zu erinnern. Dementsprechend beanspruchte eine Sieben-Punkte-Wolke wesentlich mehr Gehirnaktivität, und zwar nicht beliebig über das Gehirn verteilt, sondern in ganz bestimmten Regionen; unter anderem waren der Stirnlappen und der hintere Scheitellappen vermehrt aktiv, Gehirnareale, die eine wichtige Rolle beim kurzfristigen Speichern von Informationen spielen. Während die Messungen bei den jüngeren Versuchsteilnehmern relativ einheitlich ausfielen, ergaben die erzielten Ergebnisse und die zu beobachtende Gehirnaktivität der älteren Teilnehmer ein wesentlich vielfältigeres Bild: Sie bestätigten, dass im Alter die kognitiven Fähigkeiten innerhalb einer Messkohorte sehr viel stärker schwanken als in jungen Jahren. Darüber hinaus zeigte die Studie, dass sich die Aktivität des Gehirns bei älteren Probanden mit schlechteren Testergebnissen mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad nicht steigerte. Vielmehr war eine Abnahme der Gehirnaktivität zu beobachten, so als hätten die Gehirne dieser Probanden schon frühzeitig aufgegeben, die Aufgabe überhaupt lösen zu wollen.
»Ein Kopf
ohne Gedächtnis
ist eine Festung
ohne Besatzung.«
Napoleon
Auf der anderen Seite gab es eine Reihe älterer Menschen, die ähnliche Ergebnisse wie die jüngeren Probanden erzielten – sie konnten mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad mehr Gehirnressourcen hinzuschalten. Allerdings sah die Aktivitätsverteilung im Gehirn dieser Seniorengehirne anders aus als bei den Jüngeren: Sie mussten mehr Gehirnressourcen hinzuschalten, indem sie beide Gehirnhälften für den Test einsetzten, während jüngere Gehirne die Zwischenspeicherung der Punktewolke vor allem im rechten Stirnlappen vornahmen. Dieses Experiment zeigt sehr deutlich, wie einige Senioren es schaffen, auch bei der Achillesferse der Gehirnalterung, dem Arbeitsgedächtnis und damit der Multitasking-Fähigkeit, ein hohes Leistungsvermögen zu erzielen.
Ein etwas lebensnäheres Experiment hat der Psychologe Brian Knutson von der
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