Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
verschiedene Formen von Intelligenz durch unterschiedlich organisierte Gehirne zustande kommen. Über die Ursachen dieser Unterschiede verrät die Hirnstruktur, die im Wechselspiel von Genen und Umwelterfahrungen entsteht und prinzipiell plastisch (formbar und durch Umwelteinflüsse veränderbar) ist, jedoch nichts.
Als besonders plastisch hat sich der Balken erwiesen, der die beiden Hemisphären des Großhirns durch eine Struktur von Nervenfasern miteinander verbindet. Die unterschiedliche Balkengröße bei den Geschlechtern bedeutet deshalb aber nicht automatisch, dass das Erbgut oder der direkte Einfluss von Hormonen dafür verantwortlich ist. So wird das Spielverhalten von Kindern zwar in der Tat von Geschlechtshormonen beeinflusst; während es bei Mädchen aber das Wachstum des Balkens fördert, wirkt es sich bei Jungen, die eine andere Art zu spielen haben, eher auf die Entwicklung der rechten Hemisphäre aus. Genauso gut kann sie aber mit unterschiedlichen Verhaltensweisen und individuell unterschiedlichen Erfahrungen zu tun haben. Vor allem motorische Tätigkeiten, die eine Koordination zwischen den Hemisphären erfordern, bewirken eine Veränderung in der Anzahl an Verbindungen (Axonen) zwischen den Hemisphären. Mit anderen Worten: Auch Umwelterfahrungen können sich in der Hirnstruktur widerspiegeln.
Dennoch sollte man die Funktionsaufteilung zwischen den Hirnhälften als nicht allzu statisch betrachten: Beide Hemisphären kommunizieren ständig miteinander, sie arbeiten zusammen, und alle Funktionen werden auch in der jeweils anderen Hälfte ausgeführt. Insofern ist es also unsinnig, von einer »weiblichen« rechten und einer »männlichen« linken Hirnhälfte zu sprechen. Selbst eine stark lateralisierte Fähigkeit wie die Sprache wird nicht ausschließlich linksseitig verarbeitet. So nehmen, wie oben berichtet, Patienten mit einer rechtsseitigen Hirnschädigung das Gesagte wörtlicher und verfügen nicht mehr über die Fähigkeit, die verschiedenen Konnotationen eines Wortes zu erfassen. Zwar ist der Effekt auf die Sprache auf der rechten Hemisphäre viel subtiler als auf der linken, aber er ist vorhanden.
Jenseits von Sprache, Musikalität, Kreativität und räumlichem Vorstellungsvermögen unterscheiden sich die beiden Hirnhälften in einem weiteren Aspekt: Die rechte Hemisphäre verarbeitet vornehmlich gänzlich neue Informationen, während die linke Hemisphäre vor allem uns Bekanntes verwaltet.
Funktionen, die nicht gleich über beide Hemisphären verteilt sind (für Rechtshänder):
Linke Hemisphäre
Rechte Hemisphäre
analytische Aufgaben
Wahrnehmung und Zuord-
nung komplexer Muster
Kategorisieren
Teil-zum-Ganzen-Beziehungen
Kalkulationen
räumliche Orientierung
logische Organisation
Musikalität
Sprache
emotionale Expression
komplexe Motoraufgaben
Erkennung von Emotionen
Depot für komprimiertes Wissen
Verarbeitung neuartiger
Informationen
positive Emotionen
negative Emotionen
Natürlich ist diese kleine Übersicht der Gehirnfunktionen und -anatomie stark vereinfacht und stellt nur einen Teil dessen dar, was mit den Alterungsprozessen in unserem Gehirn in Beziehung steht. Insgesamt ist das Gehirn, um im Bild des Wohnhauses zu bleiben, unendlich viel komplizierter und verwinkelter gebaut. Stellen Sie sich eine alte Villa vor, an die im Laufe der Zeit ein Wohntrakt angebaut wurde, außerdem eine große Veranda, ein neuer überdachter Eingang, ein Anbau mit hohen Türmchen; zudem wurde sie um eine Etage aufgestockt, ein Zwischengeschoss wurde eingezogen, eine neue Dämmung, verzweigte Warmwasserleitungen, ein neues großes Walmdach kamen hinzu, und so ging es im Laufe der Evolution immer weiter. Das Gehirn ist also kein leicht zu durchblickendes, stringent gestyltes und geplantes Produkt der Evolution.
Ein alterndes Gehirn arbeitet langsamer
Wie der Mensch, so durchläuft auch das Gehirn vier Lebensalter: Kindheit, Erwachsenenalter (bis 50 Jahre), mittleres Alter (50 bis 85 Jahre) und hohes Alter (über 85 Jahre). Und so wie die Übergänge der Lebensabschnitte beim Menschen fließend sind, gehen sie auch beim Gehirn schleichend ineinander über.
Das erste, was ein Neuroanatom bei der Betrachtung eines alten Gehirns bemerkt, ist, dass sein Hirnvolumen insgesamt abgenommen hat. Man spricht von einer Atrophie (Abmagerung, Auszehrung). Im Zuge dessen nimmt auch das Gewicht des Gehirns ab, und zwar jenseits des 55. Lebensjahres alle 10 Jahre um ca. 2 %. Dieser Gehirnschwund hat wahrscheinlich
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