Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
mehrere Ursachen: Zum einen wird das Gehirn nicht mehr so gut durchblutet, die Sauerstoffversorgung des Gehirns nimmt ab, was alternde Neuronen und Gliazellen besonders hart trifft. Zum anderen produzieren ältere Zellen mehr Sauerstoffradikale, die ihrerseits für Zellorganellen und für den Aufbau von Zellen schädlich sind – insbesondere die morphologisch komplexen und in ihren Ausläufern sehr großen Nervenzellen reagieren hier empfindlich.
Der Verlust von Nerven- und Gliazellen (weiße Substanz) zeigt sich unter anderem darin, dass die Sulci (Furchen) der Großhirnrinde tiefer und breiter werden und die Gyri (wallnussartige Ausstülpungen der Großhirnrinde) in der Höhe abnehmen. Das Gehirn wird insgesamt flacher. Aber nicht nur die Großhirnrinde wird kleiner, sondern auch der Hippocampus, der das Speichern und Abrufen von autobiographischem Wissen und Fakten dirigiert. Außerdem nimmt in einigen Gehirnarealen der Komplexitätsgrad der Nervenzellen ab: Die Dendritenbäume sind weniger verzweigt, und es sind weniger Synapsen vorhanden. Im Zuge der geringer werdenden Gehirnmasse, vor allem in den Großhirnhemisphären, vergrößern sich die Ventrikel (Abb. 8), was makroskopisch betrachtet eine der augenfälligsten Veränderungen des alternden Gehirns ist. Ventrikel selbst wurden noch bis in das Mittelalter hinein als die entscheidenden Denk- und Speicherräume des Gehirns betrachtet. Mittlerweile ist klar, dass ihre Funktion vor allem darin besteht, das Gehirn gegen Erschütterungen zu schützen, und sie sind hier nur ein Indikator, dass sich die neuronale Substanz des Gehirns zugunsten flüssigkeitsgefüller Hohlräume verringert hat.
Abbildung 8: Die Ventrikel vergrößern sich
Vergleicht man das Gehirn eines 27-jährigen Menschen mit dem eines 87-Jährigen, dann kann man sofort erkennen, dass sich die mit Hirnwasser gefüllten Hohlräume im Gehirn, Ventrikel genannt, im Laufe der Jahrzehnte auf das Zwei- bis Dreifache vergrößern. Die Ursache dafür ist der Verlust von Nervengewebe.
Darüber hinaus kann man auch in den Basalganglien und in der Substantia nigra Alterungsprozesse beobachten (Abb. 9). Dies ist der schwarze Kern in der Hirnmitte, einer der wichtigen Produktionsorte von Dopamin, der im Mittelhirn liegt und seine dunkle Farbe durch ein Abbauprodukt von Melanin und durch einen hohen Eisengehalt erhält. Auch hier sterben Nervenzellen ab.
Die Großhirnrinde zeigt ebenfalls Alterungserscheinungen: So nimmt die graue Substanz der Großhirnrinde, in der die Zellkörper der Nervenzellen sitzen, in ihrem Volumen ab. Auch die Kabel (Axone) der Nervenzellen sind jenseits des 60. Lebensjahres in ihrer Komplexität reduziert, was dadurch sichtbar wird, dass man auch in der weißen Substanz mit zunehmendem Alter vermehrt kleine, lokale Schädigungen (fokale Läsionen) findet, welche Gefäßerkrankungen und Demyelinisierung anzeigen. Die weiße Substanz erscheint im Vergleich zur grauen Substanz heller, da die Axone von Gliazellen mit einer hellen Tönung umwickelt sind. Diese elektrische Isolierung ist wichtig für die Leitungsgeschwindigkeit der Axone.
Entsprechend nimmt im Zuge des altersbedingten Verlustes an Isolierungen um die Axone deren Leitungsgeschwindigkeit ab. Sie bestimmt maßgeblich, wie schnell die Aktionspotenziale vom Zellkörper Richtung Kontaktstellen zu anderen Nervenzellen weitergeleitet werden können. Der Mechanismus beruht darauf, dass das elektrische Signal in gut isolierten Axonen springen kann (saltatorische Erregungsleitung); das spart zum einen Energie, zum anderen beschleunigt es den Prozess.
Allerdings ist die Beziehung zwischen fokalen Läsionen in der weißen Substanz und messbaren kognitiven Verlangsamungen nicht linear. Die Anzahl der kleinen Läsionen kann über viele Jahre zunehmen, ohne dass es Auswirkungen auf die kognitiven Leistungen hat. Man geht davon aus, dass sich viele solcher kleinen Schäden anhäufen müssen, bevor die kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird, eine genaue quantitative Analyse gibt es allerdings noch nicht. Das Gehirn kann in diesem und anderen Fällen ein erstaunliches Maß an Verlust und Leistungseinbußen kompensieren.
Abbildung 9: Basalganglien im Alter
Die Kernspinaufnahmen zeigen Unterschiede zwischen jungen und alten Menschen, hier am Beispiel der Basalganglien, die eine wichtige Rolle bei der Koordination und Initiierung von Bewegungen spielen.
Insgesamt führen die oben beschriebenen Alterungsprozesse dazu, dass
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