Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
Begriff oder der Name einer Person oder eines Ortes nicht einfallen (siehe oben). Zu Blockaden kann es aber auch kommen, wenn wir unter hohem Druck (Stress) stehen und eine hohe Glucocorticoid-Konzentration (Stresshormone wie das Cortisol) dazu führen, dass Nervenzellen im Hippocampus ihre Arbeit einstellen und dann der Abruf von abgespeicherten Informationen nicht mehr erfolgen kann. Dies ist ein Schutz vor Stoffwechselschäden
4. False memories , auch als Fehlassoziationen, Quellenverwechselung bekannt: Man rekonstruiert alles, was man gehört, gesehen, erlebt hat, aufgrund von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen. Dies ist eine sehr effiziente und gemeinhin auch ganz gut funktionierende Methode des Erinnerns, aber sie unterliegt Fehlern. Hier ein besonders eklatantes Beispiel für die Eskapaden unseres Quellengedächtnisses: Der amerikanische Psychologe Ulric Neisser hat einen Tag nach dem bewegenden Challenger-Unglück 1986 seinen Studenten drei Fragen gestellt: Wo haben Sie die Nachricht gehört? Was haben Sie zu der Zeit gemacht? Wie haben Sie von dem Unfall erfahren? Drei Jahre später hat er denselben Studenten die Fragen nochmals gestellt, aber keiner der Studenten beantwortete alle drei Fragen gleich: 25 % haben sogar alle drei Fragen falsch beantwortet. Eklatant war, dass die meisten Studenten sich nicht mehr korrekt erinnern konnten, wie sie von dem Unglück erfahren hatten, sie litten flächendeckend unter einer Quellenamnesie. Darunter verstehen Wissenschaftler, dass man sich an eine Tatsache erinnert, aber nicht mehr weiß, aus welcher Quelle sie stammt. Schädigungen in Gebieten des Stirnlappens haben gezeigt, dass wir besonders auf den Stirnlappen angewiesen sind, um uns zu erinnern, wann und wo vergangene Erlebnisse stattgefunden haben, und gerade dieser Teil unseres Gehirns leidet besonders unter Alterungsprozessen. Falsches Wiedererkennen, Erinnerung an Phantome, ist übrigens besonders eine Domäne des linken Stirnlappens, der Assoziationen zu vergangenen Ereignissen herstellt und besonders anfällig für Gedächtnistäuschungen ist. Im wahrsten Sinne des Wortes auf der anderen Seite hat die rechte Hemisphäre eine wirklichkeitsgetreuere und weniger beschönigende Repräsentation unserer Vergangenheit parat, wie man aus Studien mit Patienten mit einem durchtrennten Balken (Corpus callosum) weiß. Diese Patienten verarbeiten den rechten und linken Teil der Welt unabhängig voneinander, so dass man bei ihnen die Verarbeitungsprozesse der linken und rechten Hemisphäre getrennt voneinander betrachten kann. Bei uns normalen Zwei-Hemisphäre-Benutzern überschreibt die sprachbegabte linke Hemisphäre meist die Einwände der rechten.
5.Vorurteile, Gerichtetheit, Präferenz: Hierunter ist zu verstehen, dass die momentane Stimmungslage beeinflusst, wie frühere Erlebnisse erinnert werden. Es erfolgt sogar unter Umständen Rekonsolidierung beim Abruf von Information. Das bedeutet: Die erinnerten Erlebnisse werden nicht nur der aktuellen Stimmungslage angepasst, diese Anpassung kann sogar mit abgespeichert werden und für immer in das neuronale Netz dieser spezifischen Erinnerung eingewebt werden. Generell ist es von Vorteil, mit einem Vorwissen, einer Präferenz für bestimmte Verarbeitungsschritte im Gehirn, in eine Situation zu gehen. Wenn man etwa in ein Restaurant zum Essen geht, weiß man, wie ein solcher Besuch ungefähr funktioniert, man hat Vorerwartungen, und der Umstand, dass unser allgemeines Wissen über die Welt leicht und mühelos aktiviert werden kann, trägt dazu bei, dass wir in ganz verschiedenen sozialen Kontexten reibungslos »funktionieren«. Aber dieses Vorwissen birgt auch Gefahren: Man übersieht Wichtiges, und in seiner Wahrnehmungsroutine schätzt man manches falsch ein.
6.Suggestivität: Die Art der Frage beeinflusst die Antwort. Dies ist vor allem ein Problem bei Kindern und unter Hypnose. Sigmund Freuds Ansicht, dass der Psychotherapeut als eine Art Archäologe arbeitet, kann also nicht stimmen. Hypnose steigert nicht die Genauigkeit des Gedächtnisses, sondern lediglich seine Manipulierbarkeit.
7.Traumatische Erlebnisse: Genau da, wo man es ausgerechnet nicht gebrauchen kann, können Erinnerungen an traumatische Erlebnisse Menschen bis ins hohe Alter verfolgen. Sie sind dauerhaft und persistent.
All diese Beispiele lehren uns die Anfälligkeit und Macht des Gedächtnisses zugleich – vor allem im Kontext von Erinnerungen, die im Alter immer wichtiger werden. Sie ergeben
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