Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
man noch nicht, worum es eigentlich geht. Da sagt der Mann zu seiner Frau: »Und jetzt lass uns neue Möbel kaufen gehen!« – und sofort heitert sich die Miene der beiden Eheleute auf, und die Einblendung des Firmenlogos verrät die eigentliche Botschaft des TV-Werbespots.
Interessant ist die Einstellung, die man die beiden Mittfünfziger hier an den Tag legen sieht: Ja, es ist traurig, wenn die Kinder ausziehen, ein gravierender Lebenseinschnitt, man leidet, aber es ist ein Mythos, dass Eltern dadurch in eine Midlife -Crisis oder gar Leeres-Nest-Syndrom geraten. Diese Art der Krise machen die meisten Eltern heute nicht mehr durch! Typisch ist eher, dass sie sich, kaum sind die Kinder aus dem Haus, neu in ihrem Leben »einrichten«, auf neue Herausforderungen zusteuern. Selbst Mütter, die sich mit großer Intensität ihren Kindern gewidmet haben, genießen nach einer kurzen Phase der Trauer meist das neue Leben.
Dennoch gehört der Begriff Midlife-Crisis zu unserem Alltagsverständnis des Alterns dazu und ist Dauerthema auf Partys der 50plus-Generation. Geprägt wurde der Begriff, der umgangssprachlich den Zustand psychischer Unsicherheit zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr meint, Mitte der 70er Jahre. Legt sich ein Mittvierziger plötzlich einen jugendlich anmutenden Flitzer zu, steht er gerne unter dem Generalverdacht, damit seine Midlife-Crisis bewältigen zu wollen. Da das Phänomen untrennbar von unserem kulturellen Gedächtnis zu sein scheint, sei es kurz historisch beleuchtet: Die demoskopische Altersentwicklung bedingt, dass es noch bis in die erste Hälfe des 20. Jahrhunderts keine Midlife-Crisis geben konnte; dafür war die mittlere Lebenserwartung mit unter 60 Jahren zu kurz. Aber in den 60er Jahren hat der Topos – dank Elliott Jaques, einem kanadischen Psychologen, der u. a. über menschliche Effektivität in Arbeitsprozessen geforscht hat – eine gewisse wissenschaftliche Glaubwürdigkeit bekommen. Als Jaques eine kleine Studie über Maler durchführte, fiel ihm auf, dass diese insbesondere um das 50. Lebensjahr herum ihren Malstil häufig gewechselt hatten und ihre Bilder fortan in dunklere Farbtöne tauchten. Da diese Beobachtung auf einer kleinen Gruppengröße basierte, eine eher vage Evidenz. Jaques bezeichnete diesen Umbruch als Midlife-Crisis. Das führte nicht nur dazu, dass der Begriff in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen wurde, sondern auch dazu, dass Daniel Levinson, ein Psychologe der renommierten Yale University, ihn in seinem Buch Das Leben des Mannes (1978) verwendete. Auch seine Studien fußten nur auf einer kleinen Gruppe von Teilnehmern. Levinson meinte speziell bei Männern, die auf die 50 zugehen, eine Veränderung zu beobachten. Und diese Zeit der Wandlung sei krisenbehaftet, so der Psychologe.
Filmisch und literarisch ist dieses Phänomen mehrfach beschrieben worden, und dort gehört es auch hin: in die Welt der Fantasie. Denn größere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen heute, dass nur etwa 5 % der Menschen eine Midlife-Crisis erleben, das ist genau der Anteil depressiver Menschen, den man in jeder anderen Lebensphase auch erwarten würde. Frauen wie Männer sind gleichermaßen betroffen. Dabei handelt es sich um eine Art von Krise, die jeden Menschen in jedem Alter ereilen kann; nicht belegt ist durch eine Reihe von großen Studien, dass psychische Krisen, die mit Entwicklungsstufen der Menschen zusammenhängen, nach dem 50. Lebensjahr häufiger vorkommen als in jüngeren Jahren!
Die MacArthur Foundation fand sogar Evidenzen dafür, die eher eine gegenteilige Aussage zulassen: Befragt man Leute in Fragebögen über Jahre hinweg nach ihrer Lebenszufriedenheit, ist diese zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr besonders hoch. Zwar stimmt es, wie diese und andere Studien zeigten, dass die Zeit zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr durch die vielfältigen Aufgaben, die in verschiedenen Lebensbereichen zu erfüllen sind, besonders stressbehaftet ist. Aber es hat sich auch herausgestellt, dass diese Altersgruppe generell sehr gut mit Stress umgehen kann, so als wären wir speziell in diesem Alter besonders gut dafür ausgestattet, starken Belastungen standzuhalten. Ja, man könnte sogar im Umkehrschluss sagen, erst in diesem Alter haben wir gelernt, Stress positiv zu bewältigen. Erleben wir uns noch als Handelnde und Kontrollierende einer Situation – was mit Mitte 50 eher wahrscheinlich ist –, nimmt es dem Stress die ungesunde Spitze. Nach vielen Jahrzehnten
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