Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
liegen im Stirnlappen. Sobald ihre Durchblutung gesteigert wird, profitieren auch benachbarte Gehirnareale, neben den Spracharealen auch die Zentren, die unsere Aufmerksamkeit steuern, sowie Gebiete des Stirnlappens, die unsere Exekutivfunktionen vermitteln. Darüber hinaus bewirkt ein guter Blutkreislauf, der durch Fitnesstraining verbessert wird, eine verbesserte Durchblutung des Gehirns. Man muss sich nur vor Augen halten, dass das Gehirn zwar nur 2 % unseres Körpergewichts ausmacht, aber 20 % des Sauerstoffs im Blut verbraucht und darüber seine gesamte Energieversorgung erhält, und schon wird deutlicher, dass es einen Zusammenhang zwischen regelmäßiger körperlicher Aktivität und Gehirnfunktionen geben muss.
Die Wachstumsfaktoren, die nach Muskelaktivierung (Training) die Muskeln wachsen lassen, wirken auch auf das Gehirn. Sie sorgen für die Ausschüttung des bereits erwähnten BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor, übersetzt in etwa der Nervenwachstumsfaktor des Gehirns), von dem man vermutet, dass es die Struktur von Nervenzellen positiv stimulieren kann (es können Synapsen und Dendritenbäume wachsen), die Neurogenese im adulten Gehirn fördert und die Neuronen vor dem Untergang schützt (neuroprotektive Wirkung von BDNF ).
Die Freisetzung von BDNF im Gehirn wird durch mindestens zwei Tätigkeiten erreicht: Lernen und Bewegung. Und beides wirkt sich noch auf einen anderen Mechanismus aus, der das Gehirn vor dem Verfall schützt: die adulte Neurogenese. Gerd Kempermann, Neurowissenschaftler an der Universität Dresden, konnte diesen Zusammenhang erstmals im Labor von Fred Gage, einem der weltweit meistzitierten Neurowissenschaftler, belegen. Er zeigte, dass bei Mäusen, die eine Aufgabe lernen mussten und sich dabei viel bewegen durften, die Anzahl von neuen Nervenzellen im Hippocampus im Vergleich zu einer untrainierten Kontrollgruppe erhöht war. Wenige Jahre später führte der bereits erwähnte Scott Small ein Experiment durch, das sich nur auf Bewegung bezog: Er verglich zwei Gruppen von Mäusen, von denen einer ein Laufrad zur Verfügung stand, wie man es aus Hamsterkäfigen kennt, während die andere ohne Trainingsequipment auskommen musste. Das Ergebnis dieses Fitnessexperimentes war verblüffend: Die Mausgruppe mit Laufrad hatte nach dem Training doppelt so viele neue Nervenzellen im Hippocampus (genauer dem Gyrus dentatus) wie die Kontrollgruppe. Mit anderen Worten: Allein Bewegung vermag die Anzahl neugeborener Nervenzellen, die sich in existierende Schaltkreise integrieren können, zu verdoppeln.
In Experimenten der Neurobiologin Henriette van Praag konnte gezeigt werden, dass selbst alte Mäuse, die regelmäßig »trainierten«, im Anschluss an ihr Fitnesstraining schneller und besser lernten als die Tiere einer wenig beweglichen Kontrollgruppe. Undsie konnte belegen, dass durch die Muskeltätigkeit mehr neue Nervenzellen in die Schaltkreise des Hippocampus eingebaut wurden. Kurz, eine bessere Durchblutung und die Ausschüttung von BDNF steigern das Überleben konstant neugebildeter Nervenzellen im Hippocampus.
Der Befund ist deshalb so spannend, weil er einen Erklärungsansatz dafür bietet, dass von allen kognitiven Fähigkeiten vor allem das Gedächtnis von sportlicher Betätigung profitiert, schließlich ist der Hippocampus maßgeblich für das autobiographische und das Faktengedächtnis (siehe Kapitel 4). Die neugebildeten Nervenzellen können zum einen neue Informationen kodieren, zum anderen können sie einem altersbedingten Verlust von Nervenzellen im Hippocampus entgegenwirken.
»Zu unserer Natur
gehört die Bewegung,
die vollkommene
Ruhe ist Tod.«
Blaise Pascal
All dies führt zu der Annahme, dass im menschlichen Gehirn vermehrt neue Nervenzellen gebildet bzw. in existierende neuronale Schaltkreise integriert werden und dort besser überleben, wenn das Gehirn sich in einem Körper befindet, in dem größere Muskelgruppen mehrmals die Woche aktiviert werden. Oder um es in den Worten des Stammzellforschers Gerd Kempermann zu sagen: »Vermutlich ist die Neurogenese eine wesentliche Voraussetzung dafür, bis ins hohe Alter geistig fit zu bleiben.«Dass sportliche Tätigkeit sich im Alter positiv auf die Erhaltung vor allem des Gedächtnisses auswirkt, konnte der Neurowissenschaftler Arthur Kramer bereits 1999 zeigen: Aerobe, physische Aktivität verringert den Verlust von Nervenzellen und führt bei Senioren zu deutlichen Verbesserungen beim Lösen kognitiver Aufgaben,
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