Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
wenn ein Stück in Moll gespielt wird, hält sich Opa die Ohren zu und geht in den Garten oder spazieren oder in den Keller. Dur kann er gut hören.
Um Punkt eins am Sonntag hat Oma immer das Mittagessen fertig. Mein Lieblingsgericht ist Geflügel oder Sauerbraten mit gefüllten Klößen. Zum Nachtisch Fürst-Pückler-Eis. Zum Sonntagsmahl trinken die Erwachsenen ein Glas Weißwein, sonst trinken sie höchstens mal Silvester einen Piccolo, aber da bin ich ja schon im Bett. Früher hat Mutter manchmal abends nach dem Unterricht eine Flasche Bier getrunken, aber jetzt nicht mehr, weil ihr das Bier irgendwann zu bitter wurde, sagt sie. Vor jedem Essen beten wir.
«Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast und segne, was du uns bescheret hast, Amen.»
Wir haben noch zwei andere Tischgebete auf Lager, aber dieses nehmen wir am häufigsten. Wenn ich mal wieder krumm sitze, sagt Opa «Gerade sitzen, Kopf nicht stützen, Hände falten, Schnabel halten», aber er meint das nicht ernst, sondern lustig. Wir beten immer reihum, und ich bin genauso dran wie die Erwachsenen. Nach dem Essen schauen wir die politische Sendung «Fragen zur Zeit» im zweiten Programm, und wenn ich nur einen Pieps sage oder klappere, werden sie fünsch. Danach räumen die Frauen das Geschirr ab und machen den Abwasch, Opa geht in den Sessel zum Dösen, und ich darf «Flipper» gucken. Sonst darf ich im Fernsehen noch den «Hasen Cäsar» gucken und «Pan Tau». Danach unternimmt die ganze Familie einen Sonntagsausflug. Meistens geht es zur Sennhütte. Die Sennhütte liegt ganz oben auf einem Berg oder Hügel, wir müssen erst dreizehn Stationen mit dem Bus fahren, dann kilometerweit geradeaus gehen und zum Schluss die Serpentinen raufkraxeln zur Sennhütte. Die Erwachsenen essen Schwarzwälder Kirschtorte und trinken ein Kännchen Kaffee. Oma sagt, dass die Schwarzwälder Kirschtorte hier so gut schmeckt wie sonst nirgendwo. Ich mag lieber Obstkuchen, am liebsten Pflaumenkuchen mit Schlagobers und zum Trinken Bluna. Weil die Bedienungen mich schon gut kennen, geben sie mir Spielzeug, damit ich mich im Kreis der Erwachsenen nicht so langweile. So kann ich spielen, und meine Familie genießt den herrlichen Rundblick.
Aber heute ist ja Montag. Oma krabbelt mich immer noch, sie hat wohl die Zeit vergessen. Dann ist doch plötzlich Schluss.
«So, Mathias, jetzt reicht’s aber. Steh mal auf. Herr Marek fährt gleich.»
Mareks sind unsere Nachbarn links von uns. Herr Marek arbeitet in einem Geschäft für Herrenbekleidung und nimmt mich jeden Morgen mit seinem blauen Käfer zum Kindergarten mit. Meine Mutter sagt, dass Mareks mich gern als ihren eigenen Sohn hätten. «Den würden wir auch nehmen», hat Frau Marek früher oft gesagt. Mareks selbst haben keine eigenen Kinder. Man bekommt sehr wenig von ihnen mit, nur ganz selten ruft Frau Marek laut nach ihrem Mann, dass es einem durch Mark und Bein geht: ADOLF! Mutter äfft Frau Marek dann immer nach, obwohl das sonst gar nicht ihre Art ist und sie viel zu höflich ist, um jemanden nachzuäffen. Sonst verbringen die Mareks ihre Zeit im Garten, wo sie vor sich hin werkeln, aber sehr leise. Außer Rasenmähen hört man nichts von der Gartenarbeit, fast als wollten sie einen Weltrekord in Leisesein aufstellen, nach dem sich alle anderen dann richten müssen. Wenn irgendjemand von den anderen Nachbarn etwas Lautes macht oder auch nur laut spricht, schauen die Mareks ganz böse rüber, bis derjenige verstummt. Am meisten kriegen natürlich wir ab, weil wir direkte Nachbarn sind, wir bewohnen nämlich von den drei Reihenhäusern das Mittelreihenhaus und haben auch nur einen kleinen Garten, der ruck, zuck gemacht ist. Im Vorgarten stehen ein Apfel- und ein Kirschbaum, und hinten ist nur Rasenfläche und ein Beerenstrauch und eine Kompostkuhle und eine Terrasse und eine Sandkiste, die Opa damals für mich gebaut hat. Da halte ich mich aber kaum noch auf, außerdem hat der Wind mit der Zeit den Sand weggeweht, und Opa ist schon fast achtzig und hat keine Kraft, den immer nachzuschütten.
Oma ist richtig eingeschüchtert von Frau Marek. Herr Marek ist eigentlich ganz friedlich mit seinem dicken Bauch und der Glatze, und an der linken Hand fehlt ihm ein Daumen, den er im Krieg verloren hat, aber man sieht es nur, wenn man genau hinguckt. Frau Marek geht einmal die Woche zum Friseur. Sie hat sehr drahtiges Haar, das aussieht wie angeleimt. In ihrem ganzen Leben hat sie noch keine Hose getragen, auch nicht zur
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