Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
sie es niemals geschafft. Dabei ist sie erst mit dreißig von zu Hause ausgezogen. Und nun wohnt sie schon wieder hier. Aber es geht eben nicht anders. Für meine Mutter bin ich ihr Ein und Alles, und meine Großeltern haben mich auch lieb, auch mein Opa, der immer sehr streng war sein ganzes Leben, nur zu mir und zu Oma nicht. Er hat mich nie geschlagen, hat Oma mal gesagt. Obwohl er schon so alt ist, versucht er, mit seinem Enkel mitzuhalten, und er spielt zum Beispiel Federball mit mir, obwohl Oma das nicht gerne sieht, denn Opa hat ein schwaches Herz.
«Na, Gretchen, wie war es heute wieder?», fragt Oma immer, während meine Mutter ihr Abendbrot isst. «Deine Mutter isst wie ein Spatz», sagt meine Oma, wenn wir alleine sind. Das kommt daher, dass sie unter keinen Umständen dicker werden will, außerdem schmeckt es ihr nicht.
«Ach, Mutti, die Kinder haben in den Ferien überhaupt nicht geübt, dabei habe ich es ihnen eingebläut: ‹Wenn ihr in den Ferien nicht übt, dann müssen wir immer wieder von vorne anfangen. Und eure Eltern bezahlen den Unterricht sicher nicht, damit wir immer wieder von vorne anfangen, oder?› Da gucken die meisten Kinder beschämt zu Boden. Aber geübt haben sie trotzdem nicht.»
Mutter ist eine sehr gute Lehrerin und sehr beliebt. Sie unterrichtet Blockflöte, Klavier und musikalische Früherziehung. Einmal im Jahr ist Elternabend, da findet ein richtiges kleines Konzert im Musikpavillon statt. Abends um 18 Uhr geht’s los, und es dauert dann zwei Stunden. Alle Schüler spielen etwas vor, erst die Anfänger mit kurzen Stücken, später dann kommen die Fortgeschrittenen und ganz zum Schluss Sigrun Hildebrandt. Die ist Mutters Meisterschülerin und spielt fast so gut wie Mutter selbst. Sigrun ist fünfzehn Jahre alt und möchte das später mal als Beruf ergreifen. Mutter fördert sie, so gut sie kann, und ist sehr stolz auf Sigrun. Zu jedem Schüler sagt Mutter eine Kleinigkeit, sie erklärt, was für ein Stück es ist und von welchem Komponisten, und es ist sehr unterhaltsam und lustig, wie sie das macht. Ganz am Ende verbeugt sich Mutter und erntet stürmischen Applaus. Sie bekommt so viele Blumensträuße überreicht, dass wir die mit vier Mann hoch kaum nach Hause schleppen können. Die ganze Familie ist sehr stolz auf sie, und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es eine bessere Musiklehrerin gibt als Mutter. Weil sie ihren Beruf so ernst nimmt, ist sie am Abend immer rechtschaffen müde.
Punkt acht Uhr schaltet Opa den Fernseher an für die Tagesschau. Nach dem Wetterbericht muss ich ins Bett. Abends bringt mich Mutter immer, damit sie wenigstens noch ein kleines Weilchen mit ihrem Sohn hat, und liest mir noch eine Geschichte vor.
«Es war einmal ein Dorf namens Toppenhausen. Dort betrieben die drei Geschwister Gerd, Wolfgang und Inge Ott einen Mettwursthof, wo als alleiniges Produkt Mettwurst hergestellt wird. In Toppenhausen sind fast alle Mettwurstbauern, das gibt es auf der Welt wohl kein zweites Mal. Niemand weiß genau, warum die Mettwurst hier so gut schmeckt. Das Geheimnis wird so streng gehütet wie das Gold in Fort Knox. Gerd und Wolfgang sind wortkarge Männer. Alles an ihnen ist sehr groß, die Hände, die Ohren und vor allen Dingen die riesigen, klumpigen Füße. Die beiden sehen immer etwas schief aus und sehr grob. Sie haben eigentlich nur Gummistiefel an und sonst eben ihr Arbeitszeug, die Mettwurstkleidung. Nur für ganz bestimmte und seltene Anlässe ziehen sie ihre alten, braunen Anzüge an, aber sie verlassen Toppenhausen kaum. Jeden Tag kocht Inge für die riesigen, schweren Männer Essen. Sie essen alles mit, auch Haut, Knorpel und Sehnen. Im Herbst ist Mettwursternte. Die Mettwurstfelder liegen an einem geheimen Ort, den kein Fremder je zu Gesicht bekommen hat. Aber dafür durften wir uns einmal die Wurstmaschine anschauen. Dann werden die Würste zu dem geheimnisvollen Großbauern Hermann Ruschmeyer gebracht, der in Toppenhausen nur ehrfürchtig ‹Der Mettwurstpapst› genannt wird. Er weiß mehr über die Mettwurst als jeder andere Mensch auf der Welt, und er ist noch größer und schwerer als die anderen Männer im Dorf. Wer regelmäßig nach Toppenhausen fährt, der bekommt vielleicht sogar irgendwann die Mettwurstfelder gezeigt.»
Dann spricht Mutter noch ein Gutenachtgebet, und als sie nach unten gegangen ist, bete ich vorsichtshalber noch mal. Ich danke Gott für den schönen Tag und dass wir alle gesund sind und uns lieb haben und
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