Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
Gartenarbeit, sondern immer nur schwere Röcke und Blusen wie aus Stahl. Mareks Garten ist ungefähr viermal größer als unserer, und es ist schon eine Aufgabe, den in Schuss zu halten. Früher hat Frau Marek halbtags als Verkäuferin gearbeitet, aber jetzt ist sie nur noch Hausfrau. Obwohl sie so unfreundlich ist, waren wir an ihrem letzten Geburtstag zum Geburtstagskaffee eingeladen. Es war kein Staubkörnchen zu entdecken. Sie hat uns wohl nur eingeladen, damit sich Oma schlecht fühlt, weil es bei uns zu Hause niemals so geleckt aussieht mit vier Personen. Wenn sie zum Gegenbesuch zu uns kommen, macht Oma schon im Voraus eine Woche sauber, aber so wie Frau Marek kriegt sie es einfach nicht hin. Jeden Dienstag kauft Herr Marek einen Kasten Bier. Den trinkt er alleine, denn dass seine Frau auch mal eine Flasche trinkt, kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ich nicht das Kind von Mareks geworden bin, da müsste ich bestimmt richtig kuschen und leise sein und den ganzen Tag drinbleiben.
Morgens mache ich immer nur eine Katzenwäsche. Zum Frühstück hat Oma Gerstenbrot mit Butter und Erdbeermarmelade vorbereitet und zum Trinken Milch. Das Brot kauft sie seit Jahr und Tag in unserem Kaufmannsladen bei Herrn Langwerner, aber immer nur diese eine Sorte, es gab noch nie eine andere Sorte Brot bei uns, und Brötchen gibt es natürlich nur am Wochenende oder an Feiertagen. Wenn Mutter nicht gerade Unterricht hat, ist sie meist einkaufen oder Besorgungen machen. So auch heute, und Opa ist schon im Keller. Oma steht immer als Erste auf, um sechs Uhr, dann Opa um sieben, Mutter um acht und ich meistens um neun mittlerweile. Mutters Unterricht beginnt erst am Mittag, weil sie keine richtige Schullehrerin ist, sondern Privatlehrerin und bei der Jugendmusikschule angestellt, da beginnt der Unterricht erst nach dem richtigen Schulunterricht. So sehe ich sie meist nur abends und natürlich am Wochenende oder im Urlaub. Dieses Jahr waren wir in Südtirol, weil Mutter lieber in die Berge fährt als ans Meer. Am Meer herrscht keine Abwechslung, sagt sie. Ich glaube aber, dass Mutter nur deshalb nicht gern ans Meer fährt, weil vor zwei Jahren Tante Giselas Zwillinge Marina und Heike im Pril ertrunken sind, die damals in meinem Alter waren. Das Wasser kam rasend schnell, und plötzlich wurden die Zwillinge von den Wassermassen nach unten gezogen, und Tante Gisela war nur hundert Meter entfernt und konnte trotzdem nicht mehr helfen und musste zusehen, wie ihre Kinder ertranken.
Jedenfalls sind wir einfach so aufs Geratewohl nach Südtirol gefahren, und als wir erst in der Dämmerung angekommen sind, war jede Pension, wo wir es versucht haben, belegt, und als es dann duster wurde, ist Mutter so verzweifelt, dass sie vor mir in Tränen ausgebrochen ist. Da habe ich sie an der Hand genommen, und dann haben wir schließlich doch noch eine Pension gefunden, weit nach zehn, und Mutter hat gesagt, dass ich ganz tapfer war und sie es ohne mich niemals geschafft hätte. Am nächsten Tag sind wir gewandert, und als wir am späten Nachmittag wieder zur Pension gekommen sind, habe ich gleich Spielkameraden gefunden, Joachim und Wiebke. Mutter hat die ganzen vierzehn Tage leider keinen Anschluss gefunden, sosehr sie sich auch bemüht hat. Eines Abends konnte sie ihre Trauer vor mir nicht mehr verbergen, und sie hat gesagt, dass die Ehefrauen alle Angst um ihre Männer hätten, weil Mutter unverheiratet ist und die Frauen glauben, sie will sich einen Mann anlachen. Auch weil Mutter eine sportliche Figur hat und viel jünger aussieht als die meisten Frauen mit vierzig. Mutter sagt über sich selber, dass sie eine Figur hat wie eine Siebzehnjährige, und das finde ich auch, und ich bin stolz deswegen. Sie hat nach dem Abendbrot immer allein auf unserem Balkon gesessen und gelesen, während ich noch spielen war, und sie war dann auch froh, als der Urlaub endlich vorbei war. Nie wieder Südtirol, hat sie während der Rückfahrt gesagt. Nächstes Jahr geht es wahrscheinlich nach Berchtesgaden.
Herr Marek wartet schon mit laufendem Motor. Ich steige vorne ein, wir sagen uns «Guten Morgen», und den Rest der Fahrt schweigen wir still. Auf dem Weg liegen die Phönix-Gummiwerke, die größer als die ganze Stadt sind. Das Werkstor sieht aus der Ferne aus wie ein riesiges Maul, und die Menschen, die dort herumstehen, wirken, als wollten sie mich heranwinken. «Kümm, kümm, kümm», scheinen sie zu rufen, ich soll angelockt
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