Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
Zeichen des Teufels sei das, es gehöre vernichtet, wie alle heidnischen Symbole. Dann wechselt sie abrupt das Thema. Ob ich ihr alles, was sie mir angetan habe, verzeihen könne. Sie habe mich so unendlich lieb und komme nicht darüber hinweg, wie sie sich so an mir versündigen konnte.
«Vergib alles, was ich seit dem Tage deiner Geburt getan habe», sagt sie.
Es ist grauenhaft. Sie erzählt, dass sie beim «Marburger Kreis» gefragt worden wäre, ob sie Kontakt zu außerirdischen Wesen habe. Aha, Gehirnwäsche, habe ich es mir doch gedacht. Immer mehr steigert sie sich da rein, bis sie mich irgendwann völlig erschöpft bittet, vor dem Schlafengehen mit ihr gemeinsam zu beten und danach der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach zu lauschen. Ja, sage ich, aber erst einmal hören wir ein Stück von mir . Endlich ist die Gelegenheit gekommen, ihr was von Deep Purple vorzuspielen. «When a Blind Man Cries». Das Stück ist so schön, dass wir beide weinen müssen. Endlich mal. Wenn ich mich doch nur in Tränen auflösen könnte.
Ich finde in der Nacht kaum Schlaf und hoffe inständig, dass Mutter am nächsten Morgen wieder normal ist. Obwohl ich schon ahne, dass das nicht der Fall sein wird. Ihre Hände sind kalt wie ein Stück Huhn, das man gerade aus dem Kühlschrank genommen hat, ihre Lippen rau und aufgesprungen. Wie soll ich das nur aushalten? Und wie hält sie das aus? Das hält doch kein Mensch aus, da fällt man doch einfach um und ist tot. Und dann noch das trübe, kalte Wetter. Überall grauer, schmutziger Schnee, es ist echt zum Kotzen.
Die Tage verstreichen, Dauerfrost, und es ist mir ein völliges Rätsel, wie meine Mutter überhaupt noch den Unterricht durchsteht. Einmal erzählt sie, nachts würden um ihr Bett Haie schwimmen und nach ihr schnappen, sie könne den Attacken nur mit Mühe ausweichen. Dann verkündet sie, sie persönlich trage die Verantwortung für sämtliches Leid, das in der Welt geschieht. Sie glaubt es wirklich.
«Herr, mein Gott, wie schlecht es mir geht! Herr, mein Gott, wie schlecht es mir geht!»
Als sie von mir wissen will, ob ich eigentlich ein Mensch bin oder der Teufel, schließe ich mich nachts in meinem Zimmer ein, aus Angst, dass sie endgültig durchdrehen und mir etwas antun könnte. Wer weiß, welche Befehle sie aus ihrer Wahnwelt empfängt. Meine komplette Vampir-Horror-Sammlung hat sie auch weggeschmissen: «Rebellion der Regenwürmer», «Der geschuppte Tod», «Sanatorium der Menschenschlangen», «Der Leichenacker», «In der Gewalt der Käfermenschen», «Die Todesglocke», «Die Stunde des Blutvogels», «Im Schatten des Fallbeils».
Die Frühjahrsferien beginnen, doch vom Frühling weit und breit keine Spur. Draußen liegt die Welt winterstarr, Mensch und Natur geht langsam die Puste aus. Vielleicht ist auch das ein Grund für Mutters Niedergang. Eines Nachts bin ich davon aufgewacht, dass sie laut geschrien hat. Erst konnte ich sie noch verstehen.
«Jesus Christus, deine Türen öffnen und schließen sich.» Immer wieder, dreihundertmal oder noch öfter. Dann:
«Ich will ihnen gern verzeihen und wünsche mir, dass auch mir verziehen wird.»
Zu welchem furchtbaren Gott sie da wohl schreit und betet? Sie schreit für jedes Jahr ihres Lebens. Irgendwann kamen nur noch Töne. Keine Wörter mehr, nur noch Töne.
Laut Wetterbericht ist nächste Woche der Umschwung zu erwarten, und der Frühling wird Einzug halten. Dann geht es bestimmt auch mit meiner Mutter wieder bergauf. Müsste eigentlich.
Oma Emmi ist gestorben. Allein in ihrem Haus, und wenn Dachsi nicht zwei Tage durchgekläfft hätte, würde sie wahrscheinlich immer noch dort liegen. Sie wird in Tostedt beigesetzt, Oma geht es so sterbenselend, dass sie es nicht zur Beerdigung schafft, und Emmis Sohn ist gerade mal wieder auf Geschäftsreise. Ich kann hier auch nicht weg, eine Schande ist das.
Ob wenigstens Holzapfels kommen? Oder Donaths? Aus Dankbarkeit dafür, dass Oma Emmi sich so viele Jahre gekümmert hat? Das wäre doch das mindeste. Dachsi wurde eingeschläfert, wer will schon einen bissigen alten Kurzhaardackel haben. Um mich zu trösten, sagt Oma, dass Emmi im Himmel bei den Engeln ist. Alle sind dort glücklich und lächeln immerzu, weil sie sich keine Sorgen mehr zu machen brauchen.
Mutters Freundin Maria aus Reinbek war zu Besuch, und das in ihrem Zustand: Sie hat schwere Arthrose und noch dazu einen Herzfehler. Die Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln von Reinbek nach Harburg
Weitere Kostenlose Bücher