Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
die wegschmeißen mussten, war es endgültig vorbei mit der Beherrschung. Auch Mutter konnte sich nicht mehr länger zusammenreißen und hat hemmungslos geschluchzt. Die ganze Familie saß da wie eingefroren, und ich fühlte mich, als wäre ich bis oben voll mit Kleister. Ungefähr das traurigste Weihnachtsfest, das sich vorstellen lässt.
Oma fährt jeden einzelnen Tag mit dem Bus ins Heim, zweimal umsteigen muss sie, aber sie nimmt den beschwerlichen Weg bei Wind und Wetter auf sich.
«Bin ich eine gute Ehefrau, oder bin ich keine gute Ehefrau?», sagt sie, wenn Mutter fragt, ob es ihr nicht zu viel wird.
Februar ist ein denkbar ungeeigneter Monat für ein Klassenfest, finde ich, finden alle. Einziger Vorteil einer Klassenfeier im Februar ist, dass es bereits um sechs dunkel ist. Herrn Klöppels Frau ist mit von der Partie. Sie heißt Sabine Klöppel und arbeitet beim Einwohnermeldeamt. Irgendwie sehen die beiden mehr aus wie Geschwister als wie ein Paar. Ist mir schon häufiger aufgefallen, dass die meisten Eheleute wirken, als wären sie miteinander verwandt. Vielleicht gleichen sich die Gesichter mit den Jahren an, würde mich nicht wundern. Oma und Opa sehen sich auch ziemlich ähnlich, zwei dünne, knochige Alte, die im gleichen Tempo geschrumpft sind.
Sonja und ich haben auf der Toilette zwei Flaschen Asti Spumante gebunkert. Sie hat einen neuen Freund, Andreas Schneider, der hat angeblich auch schon mal in Hahnöfersand gesessen, er fährt eine frisierte Zündapp Watercooled, die über hundert Sachen macht. Wahrscheinlich hat sie nur wegen ihm die Hot Pants an, sie sieht damit aus wie eine Nutte. Ich glaube, dass sie mit ihm geschlafen hat. Im Dezember ist sie fünfzehn geworden, und sie hat mal gesagt, dass fünfzehn für sie die Schallgrenze ist. Wenn die Fete um zehn zu Ende ist, kommt er sie abholen, und sie übernachtet angeblich bei ihm. Ich weiß nicht, ob ich ihr das glauben soll, ihre Mutter ist ja ziemlich streng. Sonjas Schwester ist schon siebzehn, und die muss sogar am Wochenende um halb zehn zu Hause sein. Aber vielleicht wird Sonja als Zweitgeborene auch bevorzugt, Nachzügler haben es ja durch die Bank leichter.
Da ich der einzige Deep-Purple-Fan in der ganzen Klasse bin, kann ich warten, bis ich schwarz werde, die werden noch nicht mal «Woman from Tokyo» oder «Black Night» spielen, obwohl man dazu gut tanzen kann. Sonja schwärmt für Mike Oldfield, sie hört «Tubular Bells» rauf und runter. Ich finde es auch ganz schön heftig, dass Mike Oldfield in seinem Alter über zwanzig Instrumente beherrscht, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Stücke allesamt zum Einschlafen sind, bis auf den Part, den sie für die Filmmusik beim Exorzisten genommen haben. Sonjas andere Lieblingsband ist Ougenweide, die, genau wie Mike Oldfield, ihre Musik mit möglichst vielen selbstgebastelten Instrumenten aufnimmt, nur eben so auf Mittelalter getrimmt. Ich finde beide scheiße.
Um sieben gehen Sonja und ich das erste Mal zum Schlucken auf die Toilette. Es ist zwar lange nicht so wie damals in der Obsti, knallt aber trotzdem. Sonja trinkt doppelt so schnell wie ich; wenn ihr Freund sie nachher abholt, ist sie bestimmt schon besoffen. Wir machen immer einen großen Bogen um Herrn Klöppel und seine Frau. Mich würde mal interessieren, ob wir die Einzigen sind, die was trinken.
Simone und Thorsten sind das einzige richtige Paar in unserer ganzen Klasse. Einmal ist Simone fremdgegangen, und er hat ihr daraufhin gedroht, dass bei dreimal Schluss ist. Und Fremdgehen heißt bei ihm schon knutschen. Todde hat eine tiefe, kehlige Stimme, und wenn er spricht, riecht sein Atem nach Fäkalien. Keine Ahnung, wie Simone das beim Küssen aushält. Es ist meiner Ansicht nach nur noch eine Frage der Zeit, bis sie mit ihm Schluss macht, vielleicht lässt sie sich auch extra noch zweimal erwischen.
Der Asti wirkt jetzt ganz schön strong, und zusammen mit der Musik krieg ich langsam Gefühle. Mir kommt es vor, als würden vor allem lahme Titel gespielt. «Seasons in the Sun», «Angie». Abklatschen und dann ausnahmsweise zwei schnelle Titel. «Teenage Rampage» und «Kung Fu Fighting». So ziemlich alle singen mit: «Everybody was Kung Fu Fighting.» Reno Krabbendaal tanzt voll schwul, außerdem fordert er ein Mädchen nach dem anderen auf, das ist ja wohl ein ganz klares Zeichen. Wenn er nicht schwul wäre, würde er sich das gar nicht trauen. Dann kommt mein heimlicher Lieblingssong: «Rock Your
Weitere Kostenlose Bücher