Jungs sind keine Hamster
Mutter versuchte mich zu beruhigen, während Hannes eingeschüchtert dasaß, David grinste, weil jetzt endlich was Spannendes passierte, Jakob einen Massencrash simulierte und Jette, ausgerechnet Jette, mir zur Seite sprang.
„Da hat sie doch Recht“, motzte sie. „Wir sind keine Familie.“ Sie schnitt eine Grimasse in meine Richtung.
Während Hannes intensiv seine Finger inspizierte, als wäre ihm ein dritter Daumen gewachsen, goss Mutter mir Tee ein.
„Nimm einen Keks“, forderte sie mich auf und hielt mir die Schüssel mit dem Gebäck unter die Nase.
„Keinen Hunger.“
„Die sollen ja auch nicht satt machen, die sollen schmecken.“ Mutter lächelte wie ein Honigkuchenpferd.
„Nee. Keine Lust.“
„Na komm, ein Plätzchen. Hm. Du isst die doch so gerne.“
„Wollen wir uns jetzt über Kekse unterhalten? Wenn ja, dann gehe ich.“ Ich zeigte über meine Schulter zur Tür und wollte aufstehen.
„Bleib sitzen. Es ist wichtig.“
Mutter stellte die Schüssel ab, dann sah sie mir fest in die Augen und legte los: „Ich weiß, dass das für uns alle gerade eine schwierige Situation ist. So ein Zusammenleben ist nicht einfach. Auf einmal sind neue Menschen da, mit eigenen Ideen, eigenen Bedürfnissen und Gewohnheiten. Da muss man sich erst einmal dran gewöhnen und …“
„Ja, ja. Blabla. Es geht um mein Zimmer“, unterbrach ich meine Mutter, um die Sache zu beschleunigen.
„Mein Zimmer!“, fauchte Jette. „Das ist mein Zimmer und du sollst dich daraus verpissen!“
„Jette, bitte!“, sagte Hannes.
„Wenn sich hier jemand verpisst, dann bist du es!“, fauchte ich zurück.
„Hannah, bitte!“, zischte Mutter.
„Ich …“ Ich wollte noch was sagen, aber Mutter sah mich derart erbost an, dass ich lieber den Mund hielt.
„Du weißt ganz genau, Hannah, dass Jettes Schrank nicht in das Dachzimmer passt und sie daher dein …“
„Hast du gehört!“, schrie ich dazwischen. „MEIN Zimmer!“
„Nicht mehr!“, schrie Jette zurück.
„Ich denke, wir beruhigen uns erst mal alle“, startete Mutter einen erneuten Beschwichtigungsversuch.
„Ich bin ganz ruhig“, sagte David, der zwischen mir und Jette saß und sich prächtig amüsierte.
„Ja. Das ist toll, David“, sagte meine Mutter. „Und wir anderen atmen jetzt alle mal tief ein, essen einen Keks und dann finden wir eine Lösung.“
„Ich will auch noch einen Keks!“, schrie Jakob.
„Here, please.“ Mutter warf Jakob einen Keks zu. Der schnappte ihn, steckte ihn sich sofort ganz in den Mund und spielte weiter.
Mutter hielt erst mir und dann Jette die Kekse unter die Nase, als wären wir allen Ernstes mit einem Keks zu beruhigen. Vor meinem inneren Auge sah ich Mutter, wie sie versuchte, mit Spritzgebäck Werwölfe und Vampire miteinander auszusöhnen: „Liebe Vampire, liebe Werwölfe, es gibt Kekse und Vanilletee und dann Frieden!“
Jette, die ebenso sauer wie ich zu sein schien, wollte auch keinen Keks. Unsere erste Gemeinsamkeit.
„Ich will mein Zimmer und keinen Keks.“
„Hast Angst, dass du fett wirst, was? Du Möchtegern-Supermodel!“, fauchte ich.
„Hannah! Jetzt reicht es wirklich!“
Mutter schlug mit der Hand auf den Tisch, dass die Tassen nur so klirrten, und Jette, obwohl sie mich liebend gern angebrüllt hätte, zum Schweigen brachte.
„Du hast Recht, es reicht“, sagte ich so ruhig wie möglich und stand auf. Was Mutter gar nicht passte. Sie funkelte mich böse an.
„Wir sind noch nicht fertig, Hannah! Setz dich wieder hin.“
Ich hatte aber genug. Genug geredet, genug davon, Familie zu spielen, und vor allem hatte ich genug davon, dass Jette mein Zimmer als ihres bezeichnete. Ich schnappte mir meinen Rucksack und rannte aus dem Haus. Kurz überlegte ich, was ich tun könnte. Zu Lore fahren? Aber die hätte sich bestimmt bei mir gemeldet, wenn sie schon zu Hause wäre. Also beschloss ich, den Nachmittag bis zu einem Lebenszeichen von Lore in meinem Zimmer zu verbringen und an meinem Ratgeber zu arbeiten. Ich drehte mich um und marschierte zum Pflaumenbaum, dem einzigen Weg in mein Zimmer.
Kaum dass ich in meinem Bett lag, kam eine SMS von Lore an.
Treffen bei mir um 17:30 Uhr!
Ich simste ihr nur ein kurzes Alles klar! zurück.
Dann klopfte es mal wieder an meine verrammelte Tür. Meine Mutter.
„Hannah, mach bitte die Tür auf und lass uns vernünftig miteinander reden.“
Ich stellte mich tot.
„Hannah? Bist du da?“
Ich sagte nichts, sondern kramte stattdessen Lores
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