Jungs sind keine Hamster
Unzufriedenheit und Ärger vorprogrammiert.
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Was liebte Marvin? Außer mit seinen beiden Idioten durch die Gegend zu laufen und sich über andere Leute lustig zu machen? Mochte er Sport und Fußball so wie ich? Las er gerne? Ging er ins Kino oder sammelte er Briefmarken oder merkwürdige Haustiere? Ich wusste, dass ich nichts von ihm wusste. Ich hatte keine Ahnung, wer Marvin überhaupt war. Komisch war aber, dass ich es unbedingt herausfinden wollte!
Ich konnte nicht länger still dasitzen. Ich stand auf. Starrte mein Handy an. Minutenlang. Lief im Zimmer auf und ab. Immer wieder wollte ich seine Telefonnummer tippen. Immer wieder brach ich ab. Ich legte mir Sätze zurecht, schrieb sie teilweise sogar auf, damit ich nicht anfing zu stottern oder Quatsch zu erzählen. Dann wurde ich wieder misstrauisch. Was, wenn er sich doch nur über mich lustig gemacht hatte?
Ich beschloss, sicherheitshalber ganz cool zu bleiben, wenn er ans Telefon ging. So als würde mir das Ganze nichts bedeuten. Ich rieb mein Gesicht, schüttelte den Kopf, hüpfte auf der Stelle, atmete tief ein und tippte seine Nummer, zitternd vor Furcht, jetzt doch in eine Falle zu tappen. Es klingelte. Dann schoss mir ein anderer Gedanke durch den Kopf: Rief ich zu früh an? Sollte ich nicht besser noch etwas warten? Wirkte ich so nicht total bedürftig oder sogar verknallt? Ich drückte das Gespräch weg. Puh. Das war gerade noch mal gut gegangen. Ich atmete tief durch und versuchte, mich zu beruhigen. Bis mein Telefon klingelte. Die Nummer von Marvin erschien auf meinem Display. Ich blöde Kuh hatte vergessen, meine Rufnummer zu unterdrücken!
Mit dem klingelnden Handy in der Hand kreiste ich durch mein Zimmer wie ein ins Trudeln geratener Satellit. Was tun? Ignorieren? Dafür fehlte mir die Kraft. Also was dann? Ganz, ganz cool bleiben! Nur nicht blöd oder nervös rüberkommen. Ich nahm das Gespräch an.
„Heio?“, fragte ich. Heio? Was war das? Erst wollte ich „Hi“ sagen, aber während ich es sagte, dachte ich, „Hallo“ wäre besser. Das Ergebnis: Heio. Wie Heiopei. Wie Volltrottel. Wie absolut uncool. Wie ich.
„Hi, ich bin es, Marvin.“
„Ah, hallo, Marvin. Woher hast du meine Nummer?“ Oh Mann. Wenn das so weiterging, würde ich in etwa drei Minuten auf das geistige Niveau einer Kartoffel abgerutscht sein.
„Ich hab die hier im Handy. Du hattest eben angerufen, aber ich war nicht schnell genug.“
„Ach ja, stimmt. Hab ich total vergessen.“
Was ja kein Wunder war. Immerhin war mein Anruf fast zwei Minuten her.
„Und? Alles klar bei dir? Alles senkrecht?“, blubberte ich weiter schmerzhaften Unsinn ins Handy.
„Ja, eigentlich schon. Schön, dass du angerufen hast.“
„Ja. Ich dachte, hey, ruf ich doch mal den Marvin an. Schließlich hat er dir zweimal das Leben gerettet“, sagte ich und versuchte mich an einem lässigen Lachen, was mir aber gründlich misslang. Ich gluckerte wie ein Huhn. Hallo, Notarzt. Hallo, Fernsehsender der Welt! Kommen Sie bitte alle sofort in die Körnerstraße 68. Da telefoniert eine Irre ohne Hirn!
„Ich meine“, stotterte ich, „du hast mich ja nicht nur davor gerettet, zertrampelt zu werden, sondern mich auch noch aus dem Klofenster gezogen. Weißt du noch?“
„Natürlich. Wie könnte ich das vergessen!“
„Stimmt. Wann sieht man schon mal Darth Vader über einer Kloschüssel baumeln.“
Marvin lachte, was mein Herz nur noch schneller schlagen ließ, und als er zu Ende gelacht hatte, wurde es still. Mir fiel überhaupt nichts ein, was ich sagen oder ihn fragen könnte.
„Ja“, sagte Marvin noch, bevor auch er in Schweigen verfiel. „Und nun?“, fragte er nach einer Weile.
„Hm, keine Ahnung. Was meinst du?“, schlich ich um den heißen Brei herum.
„Tja …“ Marvin war genauso aufgeregt wie ich!
„Ich weiß nicht“, stammelte ich, „ist ja schon ein wenig seltsam das Ganze.“
„Da hast du Recht. Sehr seltsam.“
Wieder lachten wir beide, ohne genau zu wissen, warum. Der Freak und der Schnösel. Das unmöglichste Traumpaar aller Zeiten.
„Was hältst du davon, wenn wir uns mal treffen? Nur wenn du willst, natürlich. Auf’n Kaffee oder so? Oder ’ne Pizza? Oder magst du vielleicht Filme? Ich weiß, jeder mag gute Filme. Kino oder so? Oder was du halt möchtest. Wir könnten aber auch nur Musik hören. Bei dir vielleicht? Oder eine DVD gucken?“ Marvin ratterte hektisch seine Sätze runter, dass sie mir nur so um die Ohren flogen. Er war nervös
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