Junimond (German Edition)
was den zwei Stimmungen entsprach, die sie innerlich miteinander in Einklang bringen musste. Zum einen freute sie sich auf die neue Schule. Sie hatte die Website der Schule in und auswendig studiert und war zu dem Entschluss gekommen, dass es die beste Schule war, die man sich unter den gegebenen Umständen wünschen konnte. Was ihr allerdings Sorgen machte, waren die anderen Schüler. Waren das vielleicht alles Kinder von Prominenten und anderen Filmleuten hier in der Gegend? Reiche, verwöhnte Kinder, die in großen Villen wohnten und die dachten, ihnen gehöre die Welt? Davon wollte sie sich auf jeden Fall absetzen. Und nicht unterkriegen lassen. Schließlich war sie eine Städterin und Überlebenskünstlerin.
Ihre Mutter stand in der Küche oder das, was später einmal eine Küche werden sollte. Es gab keine Küchengeräte, keinen Herd oder ein Spülbecken, es gab nur Rohre, die rostig aus der Wand ragten. Das einzige Möbelstück war ein alter Tisch, dessen Furnier sich von der Feuchtigkeit nach oben gewölbt hatte und drei Metallrohrstühle mit Resopal-Sitzflächen. Das Einzige, was nicht deprimierend in dieser Küche war, war der Geruch. Auf dem Tisch lag eine Tüte mit frischen Croissants, daneben standen zwei Pappbecher mit Kaffee.
Ihre Mutter machte eine entschuldigende Geste und deutete auf einen der Stühle.
»Sorry. Ich dachte, das wird lustig hier, so improvisiert. Aber du hast ja Schule.«
Stella setzte sich und zog einen der Kaffeebecher zu sich heran. Sie sah aus den trüben Fensterscheiben. Es war sonnig, im Garten blühte der Flieder.
»Ich kann ja auch erst nach Pfingsten hingehen und in einem Monat ist das Schuljahr sowieso um.«
»Ja, aber ich habe der Oberstufenkoordinatorin gesagt, dass du heute kommst, um dich vorzustellen. Sie will dir deine neue Kerngruppe zeigen. Sie sagt, sie beginnen gerade mit einem Filmprojekt, dass noch bis zum Schuljahresende gehen soll. Es ist der beste Zeitpunkt jetzt anzufangen.«
Stella angelte sich einen Croissant aus der Tüte und sog genüsslich den Geruch ein. Eigentlich war es schön hier in dieser alten Küche, draußen der Frühling, mit den warmen Croissants, die einem niemand wegessen konnte.
»Okay. Und wann kriegen wir hier Strom und Wasser?«
Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. »Antje will das für uns machen. Mit ihrem Baukollektiv. Ich habe den Zähler schon angemeldet und Wasser eigentlich auch. Sie kommt morgen. Aber ...« Sie brach ab.
Stella sah mit vollem Mund auf.
»Hmpf?«
»Das gestern tut mir leid. Ich hätte dich nicht allein lassen dürfen. Ich meine, ich komme zurück und die Polizei steht vor dem Haus. Ich habe es immer noch nicht verstanden, was war eigentlich genau los?«
Stella kaute weiter und senkte den Blick. Sie war so stolz darauf, immer die Wahrheit zu sagen und dann das. Dieser Abend. Es waren so viele idiotische Lügen gewesen, die sie diesem Jungen aufgetischt hatte und am Ende war auch noch die Polizei gekommen. So als hätte sie die gerufen. Ausgerechnet. Das würde sie doch nie tun.
»Na ja, die Nachbarn haben gedacht, es wären Einbrecher bei uns im Haus, weil ich im Treppenhaus mit meinem Handy herumgeleuchtet habe. Es gab doch keinen Strom.«
Und jetzt log sie schon wieder. Im Keller hing ihr Laptop an der Kabeltrommel am Strom der Nachbarn. Und diesen Jungen verschwieg sie auch.
»Es war ja nett von diesem Mädchen von nebenan, dass sie die Sache klargestellt hat. Helena, oder? Ich könnte mir vorstellen, dass ihr Freunde werdet.«
Niemals, dachte Stella. Sie ist die Schwester dieses Idioten. Von dem sie in der ersten Nacht in diesem Haus auch noch geträumt hatte. Sogar sehr angenehm geträumt hatte. Niemals.
Ihre Mutter streckte den Arm über den Tisch und ergriff ihre Hand.
»Stella? Ich bin mir nicht mehr sicher, ob das hier eine gute Idee ist. Wenn wir es nach einem Monat hier nicht hinkriegen, dann ziehen wir zurück. Ich habe nicht endgültig zugesagt. Ich muss die Erbschaft nicht antreten. Wenn wir wollen, können wir zurück, unsere Zimmer sind noch nicht vermietet.«
Das war Stella neu.
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
»Ich wollte ..., ich dachte, du wirst es mögen und nur ich hätte Bedenken. Aber du bist nicht so begeistert. Lass es uns aber versuchen. Das bin ich meinen Verwandten schuldig.«
Stella nickte. Okay. Vier Wochen, 30 Tage, das war zu machen.
Auf einmal sah alles ganz anders aus. Ein Abenteuer in der Wildnis. Ein Urlaub im Grünen. Und hier konnte man
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