Junimond (German Edition)
größte Sorge, die Angst vor Ratten oder Spinnen. Das war doch lächerlich.
»Komm, lass uns lieber anfangen zu suchen«, sagte Stella und deutete auf die Möbel. Zu ihrer Überraschung ging Olivia entschlossen auf einen alten Schrank zu.
»Ich wette, die sind hier drin! Komm mit der Kamera her«, flüsterte sie.
Stella folgte Olivia zu dem dunklen Holzschrank mit zwei Türen und zwei breiten Schubladen im unteren Teil.
»Okay, mach auf.«
Olivia zögerte. »Die erschrecken mich bestimmt. Das machen sie immer so.«
»Hej, dann erschrecken wir sie eben«, sagte Stella entschlossen.
»Ich hab irgendwie Schiss, den Schrank aufzumachen«, flüsterte Olivia. »Wer weiß, was da alles drin ist.«
»Okay!«, sagte Stella, stellte sich vor den Schrank, nahm die beiden Griffe in die Hände und atmete tief durch. Dann zog sie die Türen gleichzeitig rasch auf.
Olivia quiekte kurz und Stella sprang überrascht zurück. Der Schrank war voller Kleidung. Alles war sorgfältig auf einer Kleiderstange aufgereiht. Anzüge, Kleider, Mäntel, Sachen, die aussahen, als hätten sie sich über einen langen Zeitraum angesammelt. Mit einem schnellen Griff kontrollierte Stella, ob sich hinter den Kleidern jemand versteckte, obwohl sie schon gesehen hatte, dass der untere Bereich des Schrankes frei war.
»Niemand da.«
»Und die Schubladen?«
»Dann müssten sie schon Schlangenmenschen sein.«
Trotzdem zog Stella die rechte Schublade auf und erschrak. Nur mit halbem Auge hatte sie gesehen, wie sich etwas bewegt hatte. Mitten in der gestapelten weißen Wäsche.
»Da hat sich was bewegt.«
Olivia hockte sich hin und zupfte mit spitzen Fingern an den Laken im Schrank. Das Bettzeug, die Tischdecken und Servietten waren über die Jahre vergilbt und rochen nach Mottenpulver. Olivia zog die Schublade etwas weiter heraus.
»Da.« Olivia zeigte auf eine Mulde in der mindestens zehn winzige, rosige, nackte Mäusejungen lagen und aufgeregt fiepten, als das Tageslicht auf sie fiel. Sie waren erst vor kurzem geboren und hatten die Augen noch geschlossen.
»Süß, oder?«, sagte Stella und war sich nicht sicher, ob Olivia das vielleicht abstoßend fand.
Olivia schwieg und starrte auf die Mäusebabys, bis Stella sie fragend musterte. Was war los mit ihr? Dann sah sie, dass Olivia weinte, offenbar ohne es selber zu merken. Dicke Tränen liefen ihr über das Gesicht und tropften in die Bettwäsche.
»Olivia? Was ist?«
Stella rechnete damit, dass Olivia sich wieder fing, so süß waren die Mäusebabys nun auch wieder nicht, aber stattdessen wurde alles noch schlimmer, denn Olivia schlug die Hände vor's Gesicht und setzte sich weinend vor die Schublade.
38
Nach einer Weile hatte sich Olivia etwas gefasst. Sie wischte die Tränen ab und starrte abwesend auf den staubigen Boden.
»Tut mir leid, ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.«
Stella hockte sich vor Olivia. Sie erwartete keine Erklärung, aber als Olivia zu sprechen anfing, war sie erleichtert.
»Ich will dir was zeigen.«
»Ja?«
Olivia zog ihr T-Shirt etwas nach oben.
Stella sah ein großes weißes Pflaster auf der rechten Körperseite etwas unterhalb ihres Bauchnabels.
»Blinddarm?«
Olivia schüttelte den Kopf, und wieder liefen die Tränen.
»Nein.«
Sie sah Stella ernst an.
»Weißt du, ich kann vielleicht keine Kinder mehr kriegen.«
»Was? Wieso nicht?«
Olivia zögerte.
»Ist okay, du kannst es mir sagen, ich behalt es für mich«, sagte Stella leise und vorsichtig.
Olivia blinzelte unsicher. »Ich komme mir albern vor, heule hier rum ...«
»Nein, überhaupt nicht.«
Sie nahm Olivia sanft in den Arm und drückte sie.
»Hej, wenn du nicht willst, musst du es mir nicht sagen. Dann bleiben wir hier nur sitzen und hören den Mäusen beim Trippeln zu, okay?«
Olivia grinste unsicher. »Okay.«
Sie schwiegen einen Moment und dann, mitten in die Stille hinein, sagte Olivia: »Ich hatte eine Eileiterschwangerschaft. Sie wurde zu spät entdeckt, sie haben ...« Sie brach ab und weinte wieder. »Das sind nur die Hormone«, entschuldigte sie sich.
Stella legte beruhigend die Hand auf Olivias Arm.
»Schon okay.«
Innerlich war sie geschockt. Eine Schwangerschaft. Mit sechzehn. Schwanger, von wem überhaupt? Stella hatte noch keinen Sex gehabt, nur Geknutsche und Gekuschel und kam sich auf einmal lächerlich unerfahren vor. Und ausgerechnet ihr vertraute sich Olivia an. Was sollte sie sagen? Schon mal was von Kondomen gehört? Wie kann man mit sechzehn
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