Junimond (German Edition)
Doch dann hatte sie eine bessere Idee.
35
Vier Stunden später
»Hast du das alles heute Morgen gemacht?«
Olivia saß mit einem Becher Kaffee im Schneidersitz auf Stellas Matratze und sah sich beeindruckt um.
»Alle Kisten ausgepackt? Mann, hast du viele Bücher. Und wo hast du deine Kleider hingetan?«
»In die Kommode.«
»Alle?«
»Die wichtigsten.«
»Hej«, ist das ein Poesie-Album?«
Olivia lag ausgestreckt auf ihrer Matratze und blätterte in Stellas lächerlichsten Andenken an die Münchner Zeit. Aber damals war es ihr wichtig gewesen, fast heilig.
»Haben da auch Jungs was eingetragen?«
Was sollte man darauf antworten? Ja, meine große Liebe hat sich hier mit dem Spruch: »Ich sag es kurz in einem Satz, du bist mein allergrößter Schatz« verewigt?
Das war der Grund, warum sie das Buch überhaupt noch aufhob.
»Der hier ist gut!«, kommentierte Olivia weiter vom Bett. » Es gibt nichts Gutes, außer man tut es . Erich Kästner.«
Stella ließ sich neben Olivia fallen und nahm ihr vorsichtig das Buch ab.
»Wusstest du, dass Kästner hier im Villenviertel gewohnt hat. Hier hat er angeblich das Drehbuch zu Münchhausen verfasst.«
Stella schüttelte den Kopf.
»Der Kreis schließt sich«, sagte Olivia begeistert.
»Welcher Kreis?«
Ares stand in der Tür mit einer Kamera in der einen und einer Cola-Flasche in der anderen Hand. Stella verstand nicht, wie man dieses Getränk schon am Morgen vertragen konnte. Aber eigentlich war ja auch schon Mittag.
»Der Kreis der Verdächtigen. Guck dir den Plan an«, sagte Olivia zu Ares. »Ist das nicht wie in einem Agentenfilm?«
Ares warf einen Blick auf die Wand, dann zu Stella. »Du hast das direkt auf die Wand gezeichnet?«
Stella war sich nicht sicher, ob er das blöd oder abgefahren fand.
»Na ja, ich war heute schon so früh wach und ich hatte kein großes Blatt Papier.«
»Geile Idee«, sagte Ares und filmte Stella, den Plan und Olivia auf der Matratze. Er sah sich nach einer Sitzgelegenheit um und Stella deutete auf ihr Bett.
»Kannst dich ruhig da hin setzen.«
Kurz danach schleuderte auch Nick durch die Tür. Er trug einen Koffer mit Filmausrüstung.
»Hab ihn gefunden«, sagte er und reichte Stella einen roten Marker. »Mission erfolgreich beendet.«
Der Plan der Villenkolonie Babelsberg sah aus wie ein langgestrecktes Dreieck oder genauer: ein Tortenstück. An der Tortenspitze befand sich der Bahnhof Griebnitzsee, und somit der Übergang in den alten Westteil von Berlin.
An der einen Schnittseite lag der Griebnitzsee, an der anderen die S-Bahntrasse und abgeschlossen wurde das Viertel durch die Karl-Liebknecht Straße, die bis 1945 Priesterstraße hieß.
Wie Stella herausgefunden hatte, lagen alle Häuser, in denen Filmstars, Politiker oder reiche Verleger und Großindustrielle gewohnt hatten auf der See-Seite des Tortenstückes. Sie markierte die Häuser deutlich mit dem roten Marker. Es sah aus, als ob der Himbeer-Belag der Torte auf die eine Seite des Stückes verrutscht war. Natürlich waren die Grundstücke am Wasser die begehrtesten.
Stella fand das alles spannend, die alten und neuen Namen der Straßen, wie jedes Regime allein durch die Umbenennung der Straßen der Gegend ihren Stempel aufgedrückt hatte. An der Geschichte der Häuser und deren Bewohner konnte man genau ablesen, wer die Gewinner und Verlierer der jeweiligen politischen Situation gewesen waren.
»Hier in diesem Haus«, sie zeigte auf einen roten Punkt in der Virchowstraße, gleich neben dem Haus von Olivia, »hat Churchill, der ehemalige britische Premierminister, nach dem Krieg zu Beginn der Potsdamer Konferenz gewohnt. Und hier«, sie deutete auf ein Grundstück etwas weiter Richtung Tortenrand, »Stalin. 1955 hat die DDR-Führung das Haus sogar zur Nationalen Gedenkstätte erklärt.«
Nick, der sich vor die Matratze auf den Boden gesetzt hatte, stand auf und sah sich die Stelle genauer an. »Hej, war hier später nicht die Filmhochschule der DDR?«
Stella nickte.
»Okay«, sagte Nick nachdenklich. »Also ich finde, darüber sollten wir was machen. Über die Gegend, meine ich.«
»Und dein Haus, Stella!«, sagte Olivia.
Alle nickten.
»Was haben wir bisher?«, fragte Nick in die Runde.
»Nachtaufnahmen von dem Gedenkstein und der Suche danach. Die sind ziemlich genial geworden«, sagte Ares und filmte während er sprach.
Stella ertappte sich bei der Frage, ob ihre Haare wieder so zerzaust waren und ob sie genug Make-Up aufgelegt hatte. Nichts
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