Junimond (German Edition)
am Johann-Strauß Platz. Hier hatte Nick gestern auf der Wiese mit Stella gesessen. Versonnen betrachtete er das Rasenstück. Er mochte Stella und wünschte sich, dass sie mit Ares zusammenkam. Das würde vieles einfacher machen.
»Nick?«
»Ja?«
»Wir sind da und du solltest die Kamera mal auf das Objekt Nummer eins richten.«
Ares machte eine Kopfbewegung zu einer breitschultrigen Villa die frei auf einem großen Grundstück stand. Nick holte seinen Zettel aus der Hosentasche.
»Villa Guggenheim«, las er aus den Notizen, »die Bewohner mussten in den 30er Jahren emigrieren, dann ist die Schauspielerin Brigitte Horney eingezogen.«
»Berühmt?«
»Ja, damals natürlich. Stella ist das Haus wichtig, weil Horney mit Erich Kästner befreundet war und er hier in diesem Haus gearbeitet hat. Du weißt schon, Emil und die Detektive .«
»Der Film?«
»Das BUCH, natürlich!«
»Ich hab nur den Film gesehen.«
»Na, erzähl das besser nicht Stella.«
»Wieso?«, sagte Ares naiv.
Nick nahm den Helm herunter und stellte die Kamera ab. »Mann, sie liebt Bücher. Hast du das nicht gemerkt? Sie streichelt Bücher, sie riecht an Büchern, sie ... liest Bücher!«
Ares stand lässig über den Lenker seines Mountain-Bikes gelehnt und grinste. »Ich mag Bücher auch.«
»Du meinst Comics.«
»Na und?«
»Okay, jedenfalls ist sie ein Bücher- und Kästner-Fan.«
Nick sah auf den Zettel und versuchte, seine Handschrift zu entziffern. »Kästner hat hier das Drehbuch zu Münchhausen geschrieben. Natürlich geheim, für die UFA. Als der Film 1943 rauskam, wurde kein Drehbuchautor im Abspann genannt. Krass, oder?«
Ares nickte. »Ey, da arbeitest du an einer so großen Arbeit und dann ... wird noch nicht mal dein Name genannt.«
»Ja«, sagte Nick, »Apropos Name. Was machen wir mit unserer Band? Wir brauchen einen Namen.«
»Was sagt Felix?«
»Der ist in England und sagt nothing .«
»Nothing? Ist das sein Vorschlag?«
»Käme hin. Aber NEIN, er ist in England und macht sich mehr Gedanken über unseren Auftritt.«
»Oh, Mann ...«
»Allerdings. Wir sollten mal proben. Ich meine, die Abschlussfeier ist Ende Juni.«
»Das ist ein Monat. Vier ganze Wochen.«
»Ja, aber Ende Juni ist auch das Schuljahr zu Ende und dann muss auch der Film fertig sein. Das ist ganz schön viel Arbeit neben der Schule.«
Ares grinste, wie immer zuversichtlich. »Schaffen wir schon.«
50
Sie fuhren nur ein kleines Stück weiter die Straße hinauf und bogen dann rechts ab. Ares hielt und kramte sein iPhone heraus.
»Wow!«, sagte Nick, der sich wunderte, dass ihm die Villa noch nie aufgefallen war. Er betrachtete die klassizistische Villa mit dem halbrunden Säulenportikus, einem Arkadengang und einem Gartenhaus auf dem riesigen Grundstück. Wohnen, wie ein König , dachte er und sah zu Ares, der sein Display abschirmte, um seine Notizen lesen zu können.
»Hier hat der Opernsänger Richard Tauber gewohnt«, las Ares vor. »In den 20er und 30er Jahren war er einer der großen Tenöre. Hat dann später, zu Beginn des Tonfilms, in vielen Filmen mitgesungen. Ich küsse ihre Hand, Madame !«
»Was?«
»War ein Lied von ihm. Eine Million verkaufte Schallplatten. Irre, was?«
»Das müssen wir erst mal schaffen.«
»Mir würden hunderttausend CDs reichen.«
Nick grinste. »Ach, Ares, du bist so bescheiden.«
»Genau. Und man sollte denken, so ein Erfolg hätte ihn irgendwie geschützt.«
»Wie meinst du?«
»33 wurde Tauber von einem Nazi-Schlägertrupp niedergeschlagen und ist kurz darauf nach England emigriert.«
Ares steckte sein iPhone wieder ein. »Und das ist nur der Anfang.«
Sie fuhren die Straße bis zur Spitzweggasse herauf, bogen ab und fuhren bis zur Nummer 4. Ares zeigte Nick den Gedenkstein, der vor dem Haus gegenüber stand.
»Steht hier einfach so rum«, sagte Nick und Ares nickte.
Die Nummer 4 war eine eher schlichte Villa, die von einer hohen Mauer umgeben war.
»Villa Rose«, sagte Ares. »Eigentümer war ein Jude, er musste emigrieren, danach zog hier der Schauspieler und Regisseur Harry Piel ein. Mitglied der NSDAP, nach dem Krieg sechs Monate Haft, danach Arbeitsverbot bis 1949.«
»Arbeitsverbot?«
»Na ja, wegen der Mitgliedschaft in der NSDAP.«
»Aber da waren doch alle drin.«
Nick sah sich die Villa an. »Also mein Vater wäre ruiniert, wenn er vier Jahre nicht arbeiten könnte«, sagte er nachdenklich.
»Meiner auch. Was haben die Leute dann wohl gemacht?«
Nick schnaubte unwillig.
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