Junimond (German Edition)
Ende der Treppe auf ein Stativ und ging dann hoch in ihr Zimmer. Dort lagen die Kostüme, wie sie die von ihr zusammengestellten Outfits aus dem Schrank auf dem Speicher nannte. Anzüge und Kleider aus mindestens fünf Jahrzehnten. Rüschenhemden, Schlaghosen und weite Kleider aus den Siebziger Jahren, schlanke sechziger Jahre Anzüge mit engen Hosen und kleine, schwarze Cocktailkleider, Fünfziger Jahre Anzüge in Brauntönen mit Bundfaltenhosen und weite Tellerröcke mit Lackgürteln, ein grauer Anzug, der sogar noch älter war und schmale Kleider mit Fransenborten aus den 20er Jahren. Und dort wartete Ares, weil sie sich sicher war, dass er mitmachen würde, wenn sie ihm erst genauer zeigen konnte, was sie vorhatte. Doch es war nicht so einfach.
»Nein, ich bin kein Schauspieler! Ich bin vollkommen ungeeignet.«
Unten dröhnte Satisfaction , vielleicht nicht der geeignetste Song für ihren Plan.
»Wieso? Du passt in die Sachen, das sehe ich genau. Und es ist für unser Projekt.«
»Die Sachen ... stinken.«
»Ach was.« Olivia hielt ihre Nase an ein Nadelstreifen-Jackett. Okay, es roch tatsächlich nach Mottenkugeln. »Nein, das ist nur der Geruch der Zeit. Sie sind ganz sauber, nie getragen.«
»Sicher?«
»Absolut.«
Ares stöhnte und fuhr sich mit dieser Geste durchs Haar, die Olivia genau kannte. Er zweifelte. Immerhin, so weit hatte sie ihn schon.
»Warum fragst du nicht die anderen? Wo sind die überhaupt?«
»Bei Frau Dohm.«
»Immer noch?«
»Vermisst du wen?« Olivia blinzelte Ares mit schief gelegtem Kopf an. Wie gut sie ihn kannte. Stella ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Und sie wusste, dass er, obwohl ihm die Mädchen scharenweise hinterher liefen, immer unsicher war, wenn er sich selber verliebte und in diesem verwirrten Zustand noch nicht einmal wusste, dass er verliebt war und schon gar nicht, wie das Mädchen über ihn dachte.
»Sie brauchen halt Zeit dafür. Und wir können uns hier auch nützlich machen. Es ist für den Film. Sie erwarten bestimmt, dass wir hier auch was tun. Stella auf jeden Fall.«
»Meinst du?!«
»Natürlich.«
Wo und ob sie die Filmaufnahmen später gebrauchen konnte, wusste sie nicht, aber in ihrer Vorstellung war ihr Filmprojekt immer noch ein Film über dieses Haus und die Kleider waren Zeugnisse seiner Bewohner.
»Okay, ich kann ja hinter die Kamera gehen.«
»Nein! Ich kann doch die Männerkleider nicht tragen und außerdem, weiß ich genau, wie es aussehen soll.«
Sie spürte, dass er weich wurde. Immerhin hatte sie ihn schon seit dem Frühstück bearbeitet, ihm geschmeichelt, gebettelt.
»Kompromiss«, sagte sie. »Ich trage die Frauensachen und du die Männersachen. Und wir wechseln uns an der Kamera ab.«
Ares knurrte unwillig, doch er schätzte schon den Aufwand ab und sah sich die Anzüge, die Hüte, Schlipse und Schuhe an.
»Die Schuhe sind zu klein.«
»Okay, du kannst es mit deinen Turnschuhen machen.«
»Und ich will einen coolen Song!«
»YEAH!«
48
Als Ares in einem hellen Anzug zu Paint it Black die Treppe hinunter schlenzte, war Olivia selber erstaunt, wie sehr die Realität ihre Vorstellung noch übertraf. Ares war einfach: wow ! Es war, als ob die Vergangenheit des Hauses sich neu belebte. Ares, der es eigentlich hasste vor die Kamera zu treten, eignete sich als Model hervorragend. Er sah großartig in den verschiedenen Anzügen aus. Und gerade weil er sich weigerte, irgendwelche Posen einzunehmen, waren seine Auftritte vollkommen selbstverständlich und locker.
Olivia beobachtete ihn durch das Kameraobjektiv und erkannte ihn kaum. Die Kleider machten Ares zu einem Hippie, einem angepassten Spießer, einem Dandy, einem Playboy. Und alles schien zu passen. Olivia dachte an den Raum voller Kleider bei sich zuhause. Sie hatte immer geglaubt, sie würde jeden Morgen eine besondere, vielleicht sogar individuelle Entscheidung treffen, sich für ihr eigenes Outfit entscheiden, ihren Stil. Aber jetzt wurde ihr klar, wie sehr ihre Kleider die Mode ihrer Zeit widerspiegelten. Allen Kleidern, die sie auf dem Dachboden gefunden hatten, sah man an, dass sie aus der Mode gekommen waren. Und es war nicht schwer, sie einzuordnen und ihre Herkunftszeit zu bestimmen. Knöpfe oder Reißverschlüsse, Farben und Materialien, Schnitte und Rocklängen.
Irgendwann, dachte Olivia, wird jemand meine Kleider finden und wissen, dass ich Anfang des einundzwanzigsten Jahrhundert gelebt habe und er wird lächeln und genau wie ich denken, dass es seltsam
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