Junimond (German Edition)
probier's«, sagte er und grinste. »Und du musst das filmen!«
Die Treppe war steil und aus Stein. Ares trug natürlich keinen Helm. Ich habe einen Helm und meine Bremsen sind vermutlich besser als seine , sagte sich Nick. Aber das war nicht der Punkt. Die Sache war die, dass er, Nick, anders war. Er machte sich zum Beispiel Sorgen darüber, dass da unten die Straße war mit Straßenverkehr. Oder dass man auf dieser Treppe sterben konnte. Einfach so, Genick gebrochen, aus. Dachte Ares darüber nicht nach? Wie machte er das?
»Ich weiß nicht. Sieht ziemlich steil aus.«
Ares legte bettelnd den Kopf schief. »Ach was, komm! Das bringt Spaß!«
»Und ist gefährlich.«
Nick wusste, was jetzt kam. Ares hatte eine Technik, die er Nick immer wieder gerne erklärte: Wenn man gefährliche Dinge tat, dann war das Wichtigste, dass man sein Gehirn abschaltete. Der Körper musste das regeln, das Kleinhirn, die Reflexe. Das Großhirn plapperte dann nur dumm dazwischen und kam mit seinen Bedenken und Einwänden.
»Und wie schalte ich das Großhirn ab?«, fragte Nick skeptisch. Denn es schrie praktisch in Nicks Kopf. Willst du sterben, du Vollidiot? Wegen was? Es gucken noch nicht mal Mädchen zu, denen man imponieren kann. Lass den Scheiß, Kumpel .
Das Großhirn war vernünftig. Erwachsene hörten vermutlich immer auf ihr Großhirn.
»Konzentrier dich auf deinen Bauch«, sagte Ares, als wäre das eine Kleinigkeit.
Wenn Nick sich auf seinen Bauch konzentrierte, dann dachte er an Olivia und eine Schar von Schmetterlingen begann seine Magenwand zu kitzeln. Er dachte an alles, was er sich nicht getraute, ihr zu sagen, überhaupt zu sagen. Und auf einmal machte sein Großhirn ihm neue Denkvorschläge. Sterben muss ich sowieso, aber was ist, wenn ich nicht richtig lebe? Und die besten Sachen aus Angst verpasse? Er sollte mit Ares reden. Jetzt sofort.
»Ares?«
»Jo!«
»Ich habe mich in Olivia verliebt.«
Stille. Ares Großhirn konnte vermutlich zu diesem Zeitpunkt, kurz vor GO, keine Informationen mehr aufnehmen. Er bewegte sich noch nicht mal.
»Was denkst du? Es ist verrückt, oder?«, fragte Nick nervös. »Es ist einfach so passiert, ich wollte es gar nicht.«
Stille. Ares nahm langsam den Blick von der Treppe blinzelte zu Nick. Dann grinste er breit.
»Endlich Alter, ich dachte schon du erzählst es mir nie!«
»Aber ...«
»Und jetzt komm und mach die Kamera an. Wir rocken die Treppe und wenn du das überlebst, bist du auch bereit, es Olivia endlich mal zu sagen!«
Nick gehorchte wie unter Schock, unsicher, ob es sein Geständnis oder die Treppe war, die diesen Zustand auslöste. Er schaltete die Kamera auf on.
»LOOOOOS!«, brüllte Ares und hüpfte, eierte und tanzte im Stehen auf seinem Bike die Treppe herunter.
»Oh, scheiße, scheiße ...«, flüsterte Nicks, aber nur sehr kurz, denn im nächsten Moment war er im freien Fall mit all seinen Ängsten. Bis nach den ersten Metern etwas Seltsames passierte. Sein gnädiges Körpersystem hatte sich entschlossen, genug Adrenalin auszuschütten, um das alles mit ihm durchzustehen. Und aus Angst wurde Euphorie, aus Bedenken, Glück und Nick genoss die Fahrt.
»Jippi!«, brüllte er laut. Alles war möglich. Was für eine Befreiung. Er sah die Bäume unten auf der Straße, sogar über die Bäume hinaus auf den Griebnitzsee, spürte die Sonne auf seiner Haut und das Blut, das durch seine Adern pulsierte. Er blinzelte in das flirrende Licht und dankte dem Universum für diesen Moment. Er war der König der Welt. Und gerade als Nick dachte, sie wären unverwundbar, Helden der Abgründe, sah er Ares am Ende der Treppe wie eine Rakete über seinen Lenker steigen und seitlich auf der Straße aufschlagen.
52
»Scheiße!« brüllte Nick laut, während sein Vorderreifen ihn durchrüttelte. Da lag sein Freund blutend auf der Straße und bewegte sich nicht und er hatte noch 10 Meter Treppe vor sich. Bitte sei lebendig, bitte, lieber Gott mach, dass er lebendig ist!
Nick war nicht gläubig, noch nicht mal religiös erzogen, aber irgendjemand musste in diesem Fall die Verantwortung übernehmen. Wozu gab es Gott!
Noch fünf Meter, noch drei, Nick fuhr auf Autopilot, ohne seinen Körper oder die Schläge seiner Federung wahrzunehmen. Zum Glück kam kein Auto. Noch einen Meter, Nick sprang vom Rad, warf es zur Seite, rannte zu Ares und kniete sich neben ihm. War er tot? Was nun? Verdammte stabile Seitenlage, wieso brachte niemand einem bei, wie man ein Leben rettete?
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