Junimond (German Edition)
ihm gesessen und erzählt hatte, wenn sie Tee gekocht und Kekskrümel auf seiner Computertastatur verteilt hatte, dann hatte er immer geglaubt, sie sei eher eine Behinderung seiner Arbeit als eine Hilfe gewesen. Aber jetzt fehlte sie ihm. Ihre verrückten Kommentare und Ratschläge, ihre Ideen und ihre Entspannung, ihre Art, Unordnung in seine Gedanken zu bringen, damit sie sich danach wieder neu und besser ordnen konnten.
Aber Olivia war nicht da und er war viel zu stolz, sie anzurufen. Sie hatte ihre Freundschaft mit Füssen getreten, hinter seinem Rücken mit Lars geschlafen, ich habe mich verliebt! verkündet und so getan, als ob das alles nichts mit ihm und Ares zu tun habe. Ganz davon zu schweigen, dass sie seine Gefühle verletzt hatte und: war es nicht auch Aufgabe von guten Freunden, zu spüren, wie es dem anderen ging? Was er fühlte, statt auf seinen Gefühlen herumzutreten?
Nick sah auf die Mediathek seiner Filmereignisse. Er würde das alleine schaffen. Wie auch immer. Als erstes würde er sich das ganze Material ansehen. Die Aufnahmen, die er noch nicht kannte. Vielleicht gab es ja doch noch Aufnahmen, die er zu einem zwanzigminütigen Dokumentarfilm zusammensetzen konnte. Und weil ihm sein Unterbewusstsein hier wie immer einen Streich spielte, klickte er als erstes auf die Filmminiaturen, in denen Olivia zu sehen war. Olivia, in Stellas Haus, kurz vor dem Versteckspiel mit Kamera. Stella hatte die GoPro getragen. Olli, die natürlich doch vorgehabt hatte, ihn und Ares versauern zu lassen. Die Tonaufnahme dokumentierte das genau. Nick hatte es ja gewusst, und irgendwie tat es ihm gut, dass er jetzt noch wütender auf Olli sein konnte. Er sah, wie sie auf den Dachboden stiegen, versuchte, nicht auf Olivias nackte Beine zu starren und lächelte, als er sah, wie sich Olli vor den Spinnen fürchtete. Auch das hatte er gewusst. Er ließ den Film weiter durchlaufen, der Schrank, die Ängste der Mädchen. Typisch. Doch das, was dann kam, war neu. Eine weinende Olivia, die fürchtete, nie wieder schwanger werden zu können. Olivia war schwanger gewesen? Die Operation, von der er nichts gewusst hatte, die Schmerzen, von denen sie nichts erzählt hatte, die Scham, für ihre Unbekümmertheit und Gefühle, die sie nicht mit Ares oder ihm hatte teilen können.
Nicks Gesicht brannte. Sie hatte auch Lars nichts erzählt. Weder von der Schwangerschaft, noch von den Komplikationen. Und auf einmal verstand Nick, dass er das Gespräch zwischen Dana und Olivia falsch gedeutet hatte.
74
»Es ist gar nicht so einfach, wie es aussieht. Die meisten Menschen, normale Menschen, tun so ziemlich alles, um eine Prügelei zu vermeiden.«
(Fight Club)
Freitagnachmittag
Ares wusste, dass dies der Tag der Wahrheit war. Morgen Abend war der Tag des Auftritts und heute war der letzte Tag, an dem Felix mit ihnen proben konnte und wollte. Der Bass war auch nicht das Problem. Eher der Gitarren-Part und der Gesang. Nichts gegen Nicks Stimme, aber er klang viel zu freundlich und nett. Und ein singender Schlagzeuger? Auch eher ungewöhnlich.
Aber das alles waren nur Kleinigkeiten, das wahre Problem waren die Songs. Die gecoverten Versionen von Green Day klangen schlecht, so einfach war es eben doch nicht, die Songs nachzuspielen, es fehlte ein Keyboard und niemand von ihnen hatte die Stimme von Billie Joe Armstrong. Und dann gab es natürlich noch diesen halbfertigen Song von Nick mit dem sentimentalen Text von ihm, den zwar alle gut fanden, der aber eher so etwas wie der Anfang eines eigenen Repertoires oder Stils sein konnte, aber viel zu wenig für einen Auftritt war. Ganz abgesehen davon, dass er darin seine tiefsten Gefühle offenbarte. Was war, wenn das Publikum eine Zugabe forderte? Sollten sie dann Hänschen Klein rappen?
Ares ließ sich vor der Garage auf den Boden sinken. Er war etwas zu früh, gleich kamen Nick und Felix und dann wollte er ihnen sagen, dass er es nicht schaffte. Einfach keine Kraft hatte, noch einen Schicksalsschlag hinzunehmen, einen Misserfolg zu ertragen, noch mehr Kritik einzustecken. Denn gerade hatte er sich etwas erholt. Es war schön gewesen, dass Stella zu ihm gekommen war, auch wenn er sie nur durch den Nebel der Trostlosigkeit wahrgenommen hatte, der ihn seit Tagen einschloss. Sein Vater und Helena mochten Stella und trotz der Umstände war es ein netter Abend gewesen. Auch wenn sie bald wieder wegzog und auch er, aber darüber wollte er im Moment gar nicht nachdenken.
Er sah Nick schon von
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