Junimond (German Edition)
Krankenhaus und gerade in Berlin um die Mondfinsternis mit ihren Freundinnen anzusehen.«
Er sah nach oben. Es war bewölkt und dunkel, man sah weder einen Mond noch Sterne. Stella räusperte sich unsicher.
»Leider ist es heute bewölkt. Aber das ist ein ganz toller Anblick, wenn der Mond in den Kernschatten der Erde tritt, dann wird er ganz rot.«
Er blinzelte zu ihr. »Hast du es schon mal gesehen?«
»Einmal.«
Ares legte sich nach hinten auf die Holzliege und sah in den Nachthimmel. »Weißt du,« sagte er leise, »diese Dinge sind normal, aber da sie so selten geschehen ... ist es auf einmal eine große Sache.«
Stella war sich nicht sicher, ob er von der Mondfinsternis oder seiner Mutter sprach.
»Ja«, sagte sie leise und legte sich auch auf den Rücken und sah in den bewölkten Nachthimmel. »Manchmal will man die Dinge nicht genau sehen und wissen. Ich habe einmal den Mond durch ein Teleskop gesehen. Ich konnte alle Krater erkennen und dann wurde mir klar, dass es diese weiße Scheibe ist, die wir sonst am Himmel sehen und die mir immer wie ein schönes Bild oder eine Lampe an der Decke meiner kleinen Welt vorkam. Aber plötzlich wurde mir wieder klar, dass es ja ein eigener runder Himmelskörper ist und wir auch nur auf dieser Kugel Leben, die in diesem unendlichen Weltall umherfliegt. Und dass dieser Mond, der schon so weit weg ist, eigentlich ganz nah ist, und alles andere unendlich weit weg ist, unerreichbar. Und dass ich nie zum Mond kommen werde und schon gar nicht weiter.«
Ares drehte seinen Kopf zu ihr und grinste. »Fühltest du dich eingesperrt?«
Sie lächelte zurück. »Nein, mir wurde nur klar, wie kurz das Leben ist. Und das alles andere so viel älter und größer und ... unendlicher ist. Wir haben hier doch von nichts ne Ahnung, oder?«
Ares nickte. »Genau. Weißt du, ich versteh mich ja noch nicht mal selber. Erst denke ich, das hier ist die langweiligste Gegend der Welt und wenn mein Vater dann sagt, dass er das Haus verkaufen will, dann merke ich, wie gerne ich hier bin und dass ich hier auf keinen Fall weg will.«
»Geht ihr weg?«
»Na ja, mein Vater wollte immer schon in Amerika Filme produzieren, meine Mutter zieht zu ihrem neuen Freund, Helena zieht aus ...«
»Redet ihr von mir?« Helena steckte den Kopf aus der Terrassentür und lächelte. »Papa hat Pizza aufgebacken, Ares. Magst du reinkommen und mitessen, Stella?«
»Ich stör euch besser nicht.«
Helena grinste. »Also, wenn du keine Fotos schießt und an die Presse schmuggelst, störst du eigentlich überhaupt nicht, oder Ares?«
Ares setzte sich auf und nickte. »Mein Vater kann so gut Pizza aufbacken, da kann man eigentlich nicht widerstehen.«
73
»Du hast so viele Regeln und denkst, sie retten dich.«
(The Dark Knight)
Donnerstagnachmittag
Nick seufzte. In der Schule hatte Stella ihm die Chipkarte von Ares gegeben und nun waren alle Filme vollständig gestreamt und auf dem Computer, aber alles andere war ein großes Chaos. Alle glaubten oder hofften zumindest, dass er aus diesem Chaos einen halbwegs logischen, einen guten, einen genialen Film machen würde, aber er hatte sich noch nie so verloren gefühlt. Früher hatten sie sich immer vorher über eine Idee, einen Plot geeinigt, jetzt gab es nur vollkommen unzusammenhängende Aufnahmen und er wusste noch nicht einmal, was er heraus schmeißen und mit welchen Szenen er den Film fertigstellen sollte. Gehörte das Einbrechen in die Garage in den Film? Wie war es mit Ares' Fahrrad-Stunt? Wenn sie ein Doku-Drama machten, dann sollten eigentlich die historisch recherchierten Szenen nachgespielt werden, aber es gab keine einzige Szene, die verdeutlichte, wie das Leben hier früher ausgesehen hatte, wenn man von der Modenschau in den alten Kleidern auf Stellas Dachboden absah. Andererseits gab es auch keine fiktive Geschichte, die man mit den Aufnahmen erzählen konnte. Es war schlimmer, als das Filmarchiv irgendeines Hobbyfilmers, weil noch nicht mal eine, wenn auch dilettantische Handschrift zu erkennen war. Vier verschiedene Auffassungen von Bildaufteilung und Kamerafahrten, wenn man da überhaupt von Absicht sprechen konnte. Das war auch mit dem besten Schnitt nicht zu vertuschen. Nick wusste, dass er eine neue Sichtweise auf das gesamte Material brauchte. Eine radikal neue Sicht. Aber wenn er Eines von sich wusste, dann, dass er darin nicht gut war. Das war eigentlich Olivias Stärke.
Wenn Olivia in den Jahren vorher beim Schnitt des Filmes neben
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