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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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Beatnik-Erscheinung und meinem unmoralischen Verhalten, nannten mich »Draculas Tochter« und drohten mir damit, mein langes schwarzes Haar abzuschneiden. Als der Arzt schließlich kam, wurde er unglaublich wütend. Ich hörte, wie er die Schwestern anschrie, mein Baby befinde sich in Steißlage, und ich hätte nicht allein gelassen werden dürfen. Während ich in den Wehen lag, konnte ich durch ein offenes Fenster hören, wie draußen ein paar Jungen die Nacht mit A-Capella-Gesang erfüllten. Vierstimmiger Gesang an den Straßenecken von Camden, New Jersey. Das Letzte, woran ich mich erinnere, bevor die Narkose zu wirken begann, war das besorgte Gesicht des Arztes und das Flüstern der Umstehenden.
    Mein Kind wurde am Jahrestag der Bombardierung von Guernica geboren. Ich erinnere mich, dass ich an das Bild dachte, eine weinende Mutter, die ihr totes Kind im Arm hielt. Auch wenn meine Arme leer blieben und ich weinte, würde mein Kind leben, es war gesund, und jemand würde sich gut um es kümmern. Daran glaubte ich mit aller Zuversicht, aus vollem Herzen.
    Am Memorial Day fuhr ich mit dem Bus nach Philadelphia, um der Jeanne-d’Arc-Statue in der Nähe des Museum of Art einen Besuch abzustatten. Sie hatte bei unserem Familienausflug, als ich zwölf war, noch nicht dort gestanden. Wie wunderschön sie aufihrem Pferd aussah, ihr Banner zur Sonne schwenkend, ein Teenager, der dem gefangen gesetzten Dauphin zum französischen Thron verhalf, nur um schließlich am heutigen Datum in Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Die junge Jeanne, die ich aus Büchern kannte, und das Kind, das ich nie kennenlernen würde – ich gelobte beiden, dass ich etwas aus mir machen würde. Dann fuhr ich nach Hause zurück, über Camden, wo ich ausstieg und mir in einem Goodwill-Laden einen langen grauen Regenmantel kaufte.

    Am selben Tag nahm Robert Mapplethorpe in Brooklyn Acid. Er räumte seinen Arbeitsbereich frei, legte seinen Zeichenblock und seine Stifte auf einen niedrigen Tisch und davor ein Sitzkissen. Auf den Tisch kam ein neuer Bogen kaolingestrichenes Papier. Ihm war klar, dass er möglicherweise nicht zeichnen können würde, sobald die volle Wirkung des LSD eingesetzt hatte, aber er wollte sein Werkzeug bereitliegen haben, falls er es brauchte. Er hatte früher schon versucht, auf Acid zu arbeiten, aber es zog ihn immer in eine negative Richtung, in Bereiche, die er mied, wenn er mehr Kontrolle über sich hatte. Oft erwies sich die Schönheit, die er wahrnahm, als Täuschung, und die Resultate waren aggressiv und unerfreulich. Über den Grund dafür dachte er nicht lange nach. Es war eben so.
    Zunächst schien ihm das LSD eher harmlos zu sein, was ihn enttäuschte, weil er mehr als üblich genommen hatte. Er hatte die Phase der Vorfreude und nervösen Unruhe schon durchlaufen. Er liebte dieses Gefühl. Er gab sich dem Nervenkitzel und der bangen Erwartung hin, die sich in seinem Bauch entfaltete. Dasselbe hatte er als Messdiener empfunden, wenn er in seinem kleinen Messgewand hinter den Samtportieren stand, das Vortragekreuz hielt und sich bereit machte hinauszugehen.
    Er fürchtete schon, dass nichts passieren würde.
    Er rückte einen vergoldeten Bilderrahmen auf dem Kaminsims zurecht. Er spürte das Blut, wie es durch die Venen strömte, die über seine Handgelenke liefen, und die hellen Kanten seiner Manschetten. Der Raum erschien ihm in Ebenen, er hörte Sirenen, Hunde, die Wände nahm er als Pulsschlag wahr. Er merkte plötzlich, dass er die Zähne bleckte. Er nahm den eigenen Atem wahr wie den Atem eines stürzenden Gottes. Eine schreckliche Hellsichtigkeit überkam ihn; eine Stop-Motion-Kraft zwang ihn in die Knie. Ein Strang von Erinnerungen, der sich zog wie Karamell: anklagende Gesichter der anderen Kadetten, Weihwasser, das die Latrinen spült, Klassenkameraden, die vorbeigehen wie gleichgültige Hunde, die Missbilligung seines Vater, der Ausschluss aus dem Ausbildungskorps und die Tränen seiner Mutter, in seiner eigenen Einsamkeit ausblutend, der Untergang seiner Welt.
    Er wollte sich aufrichten. Seine Beine waren vollkommen taub. Es gelang ihm, aufzustehen und seine Beine zu massieren. Die Venen auf seinen Handrücken traten ungewöhnlich hervor. Er streifte sein licht- und schweißdurchtränktes Hemd ab wie eine Schlangenhaut, aus der er sich befreien musste.
    Er schaute auf den Papierbogen auf seinem Tischchen. Er sah deutlich, was darauf war, obwohl es noch nicht gezeichnet war. Er ging wieder

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