Just Kids
schilderte, stand er mit einer fließenden Bewegung auf, zog seine mexikanischen Sandalen und ein weißes T-Shirt an und winkte mir, ihm zu folgen.
Ich sah ihn mir näher an, während er mit seinen leichten O-Beinen vor mir her tänzelte. Ich sah, wie seine Fingerspitzen im Gehen auf seinem Oberschenkel tippten. Ich hatte noch nie jemanden wie ihn gesehen. Er lieferte mich vor einem anderen Brownstone auf der Clinton Avenue ab, winkte mir kurz zum Abschied, lächelte und war wieder weg.
Der Tag zog sich hin. Ich wartete auf meine Freunde. Wie das Schicksal es wollte, kamen sie nicht nach Hause. In dieser Nacht schlief ich, da ich nicht wusste, wohin, auf der roten Backsteintreppe. Als ich aufwachte, war Unabhängigkeitstag, mein erster Tag weg von zu Hause und ohne die vertraute Parade mit Veteranenpicknick und Feuerwerk. Es lag eine nervöse Unruhe in der Luft. Eine Meute von Kindern schmiss mit Krachern, die vor meinen Füßen explodierten. Ich verbrachte den Tag schließlich so, wie ich alle in den nächsten Wochen verbrachte, auf der Suche nach verwandten Seelen, Obdach und, am allerwichtigsten, einem Job. Der Sommer schien die falsche Zeit zu sein, um einen barmherzigen Studenten zu finden. Keiner hatte große Lust, mir zu helfen. Alle kamen selbst mit Ach und Krach über die Runden, und ich, die Landmaus, störte dabei nur. Schließlich fuhr ich zurück nach Manhattan und schlief im Central Park, nicht weit von der Statue des Verrückten Hutmachers.
Ich hinterließ in sämtlichen Geschäften und Buchhandlungen entlang der Fifth Avenue Stellengesuche. Ich blieb oft vor einem der Grandhotels stehen, als ausgeschlossene Beobachterin diesesproustianischen Lebensstils der Privilegierten, die mit exquisit in Braun und Gold gemusterten Koffern schnittigen schwarzen Autos entstiegen. So sah das Leben auf der anderen Seite aus. Pferdekutschen hielten zwischen dem Paris Theatre und dem Plaza Hotel. In weggeworfenen Zeitungen sah ich nach, was am Abend an Unterhaltung geboten wurde. Dann schaute ich vor der Metropolitan Opera zu, wie die Leute hineingingen und spürte ihre gespannte Erwartung.
Die Großstadt war eine echte Großstadt, unstet und sexuell. Ich wurde hierhin und dahin geschubst von kleinen Horden erhitzter junger Matrosen, die auf der Forty-second Street, auf der sich Pornokinos, ordinäre Frauen, glitzernde Souvenirläden und Hotdog-Stände aneinanderreihten, nach Action suchten. Ich lungerte in Kinovorräumen herum und spähte durch die Fenster in die großartige, ausladende Grant’s Raw Bar, in der dicht gedrängt Männer in schwarzen Mänteln haufenweise frische Austern schlürften.
Die Wolkenkratzer waren wunderschön. Sie wirkten ganz und gar nicht wie bloße Hüllen für Großkonzerne. Sie waren Monumente der arroganten, aber philanthropischen amerikanischen Gesinnung. Der Charakter jedes einzelnen Quadranten war anregend, und man spürte den ständigen Wandel seiner Geschichte. Die alte Welt und die kommende neue präsentierten sich im Backstein und Mörtel der Handwerker und Architekten.
Ich wanderte stundenlang von Park zu Park. Am Washington Square waren noch die Figuren von Henry James und die Gegenwart des Autors selbst zu erahnen. Wenn man in die Nähe des weißen Torbogens kam, begrüßte einen der Klang von Bongos und akustischen Gitarren, Protestsängern, politischen Streitgesprächen, Flugblätter verteilenden Aktivisten, älteren Schachspielern, die von jüngeren herausgefordert wurden. Diese aufgeschlossene Atmosphäre war etwas, das ich noch nicht kannte, schlichte Freiheit, die niemandem etwas wegnahm.
Ich war geschafft und hungrig vom Herumziehen mit meinen paar Habseligkeiten in einem Tuch nach Wanderarbeiter-Art, einSack ohne Stock – meinen Koffer hatte ich in Brooklyn verstaut. Es war ein Sonntag, und ich nahm mir den Tag frei von der Arbeitssuche. Während der Nacht war ich immer zur Endstation in Coney Island und zurück gefahren und hatte sporadisch geschlafen, wann immer ich konnte. Ich stieg an der Haltestelle Washington Square aus und ging die Sixth Avenue hinunter. Ich blieb stehen und sah den Jungs zu, die in der Nähe der Houston Street Körbe warfen. Dort lernte ich Saint, meinen Ratgeber und Führer kennen, einen schwarzen Cherokee, der mit einem Bein auf der Straße und dem anderen auf der Milchstraße stand. Er war plötzlich einfach da, so wie Vagabunden sich eben manchmal finden.
Ich taxierte ihn nur kurz, von innen wie von außen, und spürte, dass er in
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