Just Kids
in die Hocke und arbeitete zügig in den letzten Strahlen der Nachmittagssonne. Er stellte zwei Zeichnungen fertig, spinnwebartig und amorph. Er schrieb die Worte auf, die er gesehen hatte, und spürte das Gewicht dessen, was er geschrieben hatte. Zerstörung des Universums. 30. Mai ’67.
Es ist gut, sagte er beinahe mit Bedauern. Denn es würde niemand sehen, was er gesehen hatte, niemand würde es verstehen. Er kannte das Gefühl. Es hatte ihn sein ganzes Leben lang begleitet, aber in der Vergangenheit hatte er es verdrängt, als sei es ein Makel. Kompensiert hatte er es durch sein liebevolles Wesen, er wollte es seinem Vater, seinen Lehrern und den Gleichaltrigen recht machen.
Er war nicht sicher, ob er ein guter oder ein schlechter Mensch war. Ob er selbstlos war. Ob etwas Dämonisches an ihm war. Aber eins stand für ihn fest: dass er Künstler war. Dafür würde er sich niemals entschuldigen. Er rauchte an die Wand gelehnt eine Zigarette. Er fühlte sich wie in Klarheit gebadet, ein wenig angeschlagen, doch er wusste, dass dies rein physisch war. Dann regte sich ein anderes Gefühl in ihm, für das er keinen Namen hatte. Er fühlte sich souverän, er hatte alles unter Kontrolle. Er würde nicht länger Sklave sein.
Als die Nacht anbrach, verspürte er Durst. Er brauchte unbedingt Schokoladenmilch. Ein Laden hatte bestimmt noch geöffnet. Er kramte nach seinem Münzgeld, bog um die nächste Ecke und machte sich im Schatten der Nacht breit grinsend auf den Weg zur Myrtle Avenue.
Im Frühjahr 1967 zog ich eine vorläufige Bilanz meines Lebens. Ich hatte ein Kind gesund zur Welt gebracht und das kleine Mädchen in die Obhut einer liebevollen und gebildeten Familie gegeben. Ich hatte die Pädagogische Hochschule geschmissen; mir fehlte die Disziplin, die Hingabe und das Geld, um weiterzumachen. Ich hatte einen Mindestlohn-Job in einer Schulbuchdruckerei in Philadelphia.
Die vordringlichste Frage war nun, wo ich hin sollte, und was ich machen würde, wenn ich dort ankam. Ich klammerte mich an die Hoffnung, dass in mir eine Künstlerin steckte, obwohl ich wusste, dass ich ein Studium an der Kunstakademie unmöglich finanzieren konnte und ich auch von irgendwas leben musste. Zu Hause hielt mich nichts mehr, keine Zukunftsaussichten, kein Zugehörigkeitsgefühl. Meine Eltern hatten uns in einer Atmosphäre des religiösen Dialogs, des Mitgefühls und der demokratischen Grundrechte aufgezogen, aber die Grundeinstellung im ländlichen Süden von New Jersey war nicht gerade künstlerfreundlich. Die wenigenGleichgesinnten waren nach New York gezogen, um Gedichte zu schreiben und Kunst zu studieren, und ich fühlte mich sehr allein.
Trost hatte ich bei Rimbaud gefunden, den ich mit sechzehn an einem Bücherstand gegenüber vom Busbahnhof in Philadelphia entdeckt hatte. Sein hochmütiger Blick vom Unschlag der Illuminationen begegnete meinem. Er besaß eine ehrfurchtslose Intelligenz, die etwas in mir entzündete, und ich nahm ihn sofort als Landsmann, als Verwandten, sogar als heimliche Liebe an. Da ich noch nicht mal die neunundneunzig Cents hatte, um das Buch zu kaufen, steckte ich es heimlich ein.
Rimbaud besaß den Schlüssel zu einer mystischen Sprache, die ich verschlang, ohne sie ganz enträtseln zu können. Meine unerwiderte Liebe zu ihm war so real für mich wie alles, was ich tatsächlich erlebt hatte. In der Druckerei, in der ich mit einer Gruppe von raubeinigen, ungebildeten Frauen arbeitete, wurde ich in seinem Namen schikaniert. Sie verdächtigten mich, Kommunistin zu sein, weil ich ein Buch in einer fremden Sprache las, und gingen auf dem Klo auf mich los, um mich dazu zu bringen, ihm abzuschwören. In dieser Atmosphäre begann es in mir zu gären. Nur für ihn schrieb und träumte ich. Er wurde mein Erzengel, der mich aus den profanen Schrecken der Druckerei erlöste. Seine Hände hatten eine Gebrauchsanweisung für den Himmel in Stein gemeißelt, und ich klammerte mich daran fest. Ihn zu kennen ließ mich forscher auftreten, und das war mir nicht mehr zu nehmen. Ich warf meine Ausgabe der Illuminationen in einen karierten Koffer. Wir würden zusammen fliehen.
Ich hatte einen Plan. Ich würde mich an Freunde wenden, die am Pratt Institute in Brooklyn studierten. Wenn ich mich in ihrem Umfeld bewegte, stellte ich mir vor, könnte ich von ihnen lernen. Als mir Ende Juni von der Schulbuchdruckerei gekündigt wurde, sah ich darin ein Signal zum Aufbruch. Arbeit war in New Jersey schwer zu finden. Ich
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