Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Just Listen - Roman

Just Listen - Roman

Titel: Just Listen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Dessen
Vom Netzwerk:
Gestalten auf Fahrrädern düsten so schnell vorbei, dass die Konturen verschwammen.
    Schnitt. Zwei Mädchen fuhren genau auf den Betrachter zu. Die eine, mit blonden Haaren, war ungefähr dreizehn, die andere, eine Brünette, etwas jünger, schmaler, kleiner. Sie blieb ein wenig hinter der Blonden zurück.
    Unvermittelt blickte das Mädchen im Vordergrund sich nach der anderen um; begann gleichzeitig, fester in die Pedale zu treten, und zischte ab. Nun zeigte die Kamera in rascher Abfolge unterschiedliche Eindrücke. Man sah das blonde Mädchen, wie sie radelte, ihr fliegendes Haar im Fahrtwind, und dazu abwechselnd Momentaufnahmen aus der Umgebung: ein schlafender Hund auf dem Gehsteig; ein Mann, der seine Zeitung aufhob; der tiefblaue Himmel; ein Sprinkler, aus dem sich in elegantem, hohem Bogen Wasser über ein Blumenbeet ergoss. Während das Mädchen weiter Fahrt aufnahm, beschleunigte sich auch das Schnitttempo, folgten die Bilder immer schneller aufeinander, wiederholten sich, bis schließlich   – Schnitt. Einstellung auf die Straße, die sich vor dem blonden Mädchen erstreckte: eine T-Kreuzung , an der sie leicht schlingerndabbremste, stehenblieb, sich umdrehte. Hinter ihr, in einiger Entfernung, konnte man ein Fahrrad ausmachen, das mitten auf der Straße lag. Ein Reifen drehte sich ins Leere. Das jüngere Mädchen saß daneben und hielt sich den Arm.
    Schnitt. Mit quietschenden Reifen kam die Blonde neben dem dunkelhaarigen Mädchen zum Stehen. »Was ist passiert?«, fragte sie.
    Die andere schüttelte hilflos den Kopf. »Weiß nicht genau«, erwiderte sie.
    Die Blonde schob ihr Rad näher an sie heran. »Da, steig auf.«
    In der nächsten Einstellung sah man, wie das jüngere Mädchen auf der Lenkstange balancierte und sich den Arm hielt, während die Blonde mit ihr die Straße entlangradelte. Wieder wechselte die Kamera zwischen dem Fahrrad und Eindrücken aus der Umgebung hin und her. Aber alles war verändert: Der Hund stürzte mit wütendem Gebell auf die Mädchen zu, als sie an ihm vorbeikamen; der Mann strauchelte, als er nach seiner Zeitung griff; der Himmel war grau; der Sprinkler zischte und sein Wasser prasselte unkontrolliert auf ein vorüberfahrendes Auto, bevor es in Strömen in den Rinnstein floss. Es war alles wie vorher. Und doch total anders. Als das Haus vor ihnen auftauchte, sah es ebenfalls verändert aus. Das blonde Mädchen radelte in die Einfahrt. Währenddessen zoomte die Kamera zurück. Hielt an, als das jüngere Mädchen, den Arm eng an sich gepresst, vom Lenker glitt. Sie ließen das Rad ins Gras fallen. Gingen zum Haus, die Stufen hinauf. Die Tür öffnete sich für sie, ohne dass man sehen konnte, wer auf der anderen Seite stand. Als die Mädchen im Inneren verschwunden waren, schwenkte die Kamera nach unten,bis das Gras wieder den gesamten Bildschirm ausfüllte. Grün. Geradezu beängstigend grün, hell, künstlich. Dann war der Film vorbei.
    Ich saß einen Moment lang nur da. Starrte auf den Monitor. Drückte schließlich PLAY, sah mir das Ganze noch einmal an. Und ein drittes Mal. Ich hatte keine Ahnung, wie ich den Film fand. Griff trotzdem zum Hörer, wählte Kirstens Nummer. Auch wenn ich noch gar nicht wusste, was ich eigentlich sagen sollte. Sie nahm ab. Der Film habe mir gefallen, meinte ich, auch wenn ich ihn nicht verstanden hätte. Aber Kirsten wurde deswegen zum Glück nicht sauer oder so. Genau darum sei es ihr gegangen, erklärte sie bloß.
    »Worum? Dass ich total verwirrt bin?«, fragte ich.
    »Nein. Dass die Bedeutung nicht vorgegeben wird. Jeder Zuschauer soll Raum für seine eigene Interpretation haben.«
    »Ja, aber du weißt schon, was der Film bedeutet, oder?«
    »Klar.«
    »Und das wäre?«
    Sie stieß einen leichten Seufzer aus. »Ich weiß, was er für
mich
bedeutet«, antwortete sie. »Aber das kann für dich etwas vollkommen anderes sein. Und für wen anders auch. Film ist etwas sehr Persönliches. Es gibt keine richtige oder falsche Bedeutung beziehungsweise Botschaft. Es ist genau das, was
du
darin siehst.«
    Ich blickte wieder auf den Bildschirm. Der Film stand auf der letzten Einstellung. Der mit dem supergrünen Gras. »Aha«, sagte ich. »Okay.«
    Trotzdem war es voll schräg. Meine Schwester, die Meisterin der Kommunikation und der Erklärungen, enthielt mir etwas vor. Hielt etwas zurück. Bei einigen Menschenwar ich es ja gewohnt, dass ich immer erst mühsam rumrätseln musste, um dahinterzukommen, was sie dachten; bei Kirsten hingegen

Weitere Kostenlose Bücher