Just Listen - Roman
mache mein Gratin mit der Sahnesauce, Whitney Ofenkartoffeln in Olivenöl.«
»Ach ja?« Ich reichte ihr die Tüten.
»Ein Rezept von Moira. Ist das nicht großartig?«
Allerdings. Wenn ich meine eigenen Probleme mal außer Acht ließ, fiel mir schon sehr positiv auf, was für Fortschritte Whitney in dem Jahr, seit alles begann, gemacht hatte. Sie war zwar noch lange nicht gesund, hatte sich aber ganz offensichtlich wieder einmal verändert. Nur eben jetzt zum Positiven.
Es fing damit an, dass sie kochte. Nicht viel, nicht ständig. Aber unser gemeinsames Abendessen hatte so eine Art Ausgangspunkt für diese Entwicklung markiert. Offensichtlich fuhr diese Moira Bell ziemlich auf Biokost und schonende Garmethoden ab. Nachdem Whitney ihr von unseren Spaghetti mit Fertigsauce erzählt hatte, lieh sie ihr daher prompt ein paar Kochbücher. Das Essen meiner Mutter tendierte zu »herzhaft mit Sahne«: Aufläufe mit Pilzcreme oder Ähnlichem, schwere Saucen, viel Fleisch, Kartoffeln, Mehlprodukte. Whitneys kulinarische Vorliebenbewegten sich – wen wundert’s? – in eine völlig andere Richtung. Zunächst bestand ihr Beitrag darin, dass sie gelegentlich den Salat fürs Abendessen machte; in dem Fall ging sie eigens auf den Wochenmarkt und kam mit Gemüse beladen zurück, das sie in endloser Kleinarbeit schälte, schnibbelte, anrichtete. Ihre bevorzugte Salatsauce war Kräutervinaigrette. Sobald jemand von uns nach der Flasche mit
Thousand Islands
oder
Farmer’s Dressing
griff, erntete er oder sie mittlerweile einen strafenden Blick nach dem Motto: Lass es. An dem Abend, als meine Modenschau stattfand, machte Whitney für meine Eltern gegrillten Lachs mit Limonensauce. Und später, für unser Thanksgiving-Essen, gedünstete grüne Bohnen mit frischer Zitrone, um den köstlich-cremigen Auflauf mit frittierten Zwiebeln zu ersetzen – oder vielleicht eher zu verdrängen? –, den es sonst traditionell an diesem speziellen Feiertag gab. Meine Mutter war eine begnadete, aber spontane Köchin; eine von denen, die gefühlsmäßig vorgehen, ohne Messbecher und Waagen. Bei ihr gab es Prisen, Spritzer, eine Handvoll dies oder das. Whitney hingegen war beim Kochen die Genauigkeit in Person und ihr typischer Befehlston gehörte einfach dazu, egal, ob es nun um Salatsaucen ging oder darum, dass wir – ja doch, absolut – auch ohne Butter auf jeder Beilage auskommen konnten. Aber auch, wenn Whitneys pedantische Art manchmal nervte: Es war und blieb ein Fortschritt. Außerdem aßen wir alle seitdem besser, sprich gesünder. Ob wir wollten oder nicht.
Und sie schrieb. Ihre offizielle Lebensgeschichte hatte sie Ende Oktober fertig, doch seitdem blieb sie weiter dran. Saß häufig am Tisch im Esszimmer und bedeckte eine Seite nach der anderen mit ihrer ordentlichen Handschrift; oderrollte sich vor dem Kamin auf dem Teppich zusammen und kaute auf ihrem Stift rum. Bisher hatte sie mich nichts von dem, was sie da schrieb, lesen lassen. Andererseits hatte ich sie auch noch nicht darum gebeten. Doch die paar Mal, die ich ihren Schreibblock zufällig auf der Treppe oder dem Küchentisch entdeckte, geriet ich schon in Versuchung, schnell einen Blick draufzuwerfen. Mal schnell nachzusehen, was auf den eng beschriebenen Seiten stand. Aber ich ließ es dann doch. Schließlich hatte ich vollstes Verständnis dafür, wenn man etwas für sich behalten wollte.
Und dann war da noch das Ding mit den Kräutern. Echt irre und vielleicht die sensationellste Entwicklung überhaupt. Die Töpfe standen schon seit ein paar Monaten auf der Fensterbank, ohne dass sich irgendetwas tat. Doch dann, kurz vor Halloween, trieb der Rosmarin plötzlich. Zunächst nur ein dünner, grüner Schössling; aber in der nächsten Woche folgten die anderen Kräuter seinem Beispiel. Jeden Tag checkte Whitney die Feuchtigkeit der Erde mit den Fingern, drehte die Töpfe ein bisschen, sodass sie immer optimal im Licht standen. Früher hatte ich meine mittlere Schwester innerlich stets mit einer verschlossenen Tür verglichen, doch mittlerweile drängten sich mir, wenn ich sie beobachtete, ganz andere Bilder auf: Ihre Finger, die sich um ein Küchenmesser oder einen Stift schlossen; die Gießkanne in ihrer Hand, die Wasser über Pflanzen verteilte und ihnen so beim Wachsen half.
Kirsten hatte in der Zwischenzeit nicht nur die Vorführung ihres Films vor einem kritischen Publikum aus Professoren und Kommilitonen überlebt, sondern ging auch konkret als
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