Justifiers - Autopilot: Justifiers-Roman 7 (German Edition)
geräumigen Loge bei einem Glas Champagner und einer Schüssel echter Trauben saß, um das endlos lange Showprogramm vor dem Start über sich ergehen zu lassen, hatte gänzlich andere Gründe. Was man für die gute Sache nicht alles auf sich nimmt …
Jenseits der Scheibe aus Sicherheitsglas wurde auf einer Freifläche direkt neben der Boxengasse jeder Pilot einzeln vorgestellt, und jeder hatte natürlich seinen persönlichen Programmpunkt. Im Moment war eine Frau in einem schwarzen, nietenbesetzten Rennanzug dran, deren langes, blondes Haar noch ungebändigt in der Meeresbrise wehte. Sie vollführte einen recht unwürdigen Tanz aus Sprüngen, Fäusteballen und Headbangen zu den brettharten Klängen einer live aufspielenden Machinecore-Kombo.
O Luther, du verlangst mir eine Menge ab. Cleo schnippte sich eine Traube in den Mund und suchte auf der Liste mit Startern, die auf der Scheibe eingeblendet war, nach Luthers Namen. Er war der erste Beta, der die Chance hatte, zum Gesamtsieger bei der Formula Air zu werden, und seine Fans nannten ihn ehrfurchtsvoll den rasenden Rappen. Cleo war als Aktivistin lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass man sich eine solche Chance für positive PR nicht entgehen lassen durfte. Folglich hatte sie für die Schnappschüsse, für die sie nachher aller Voraussicht nach mit Luther aufs Siegertreppchen steigen würde, auch ein passendes Outfit gewählt: einen Hosenanzug aus nicht zu kühlem Blau, dessen Schnitt auf dem schmalen Grat zwischen Seriosität und Lockerheit wandelte. Hochhackige Schuhe, auf denen nur eine Beta mit Genen aus der Familie der Katzenartigen elegant einherschreiten konnte, ein Paar Saphirohrringe und eine Sonnenbrille, die ihre mandelförmigen Augen noch weiter betonte, gaben dem Ensemble den nötigen Pepp. Ganz in Blau wirkte Cleo innerhalb ihrer eigenen Loge wie ein Fremdkörper, denn alles hier – von der flachen Ledercouch über das Glas der Beistelltische bis hin zu den Lampen und dem Furnier des Tresens im hinteren Bereich des Raums, in dem gut und gern zwanzig oder dreißig Gäste Platz gefunden hätten – war in ihrer eigentlichen Lieblingsfarbe gehalten.
Rot.
Bedauerlicherweise reagierten die meisten Menschen auf Rot eher mit Anspannung und einem leisen Unbehagen, weshalb Cleo selten Gäste empfing. Noch dazu spürte sie heute selbst eine gewisse Unruhe ob ihres Aufenthalts hier, und sie war mit ihren Gedanken vollkommen woanders als bei Luther. Ob er noch lebt? Wenn nicht, ist er selbst schuld. Ich habe ihn gewarnt. Mehr konnte ich nicht tun.
»Sie haben einen Besucher«, hauchte die sanfte Stimme des Computers, der den Einlass in die Loge regelte.
In der Annahme, der Ehemann der Managerin von Luthers Rennstall hätte ihr Angebot, sich das Spektakel aus einer ganz besonders exklusiven Perspektive gemeinsam mit ihr anzusehen, doch noch angenommen, sagte Cleo: »Nur herein mit ihm.« Wie hieß er noch? Montgomery? Clifford?
Sie stand auf, um eine zweite Sektflöte mit herrlich perlendem Champagner zu füllen, da sie mit dem Erscheinen eines leicht überdrehten Mittfünfzigers in einem grässlich gelben Satinhemd und einer stacheligen Gelfrisur rechnete, für die der arme Tropf locker zwei Jahrzehnte zu alt war. Sie hatte sich geirrt.
»Ich trinke im Einsatz nicht.« Jaspers Stimme war kalt wie Eis, obwohl der Wolfsbeta die Ohren angriffslustig angelegt hatte. Der Verbindungsoffizier von Pride Fur trug fast die gleiche Montur wie bei seinem letzten unerwarteten Auftritt – er hatte sie lediglich um ein Paar schwarze Lederhandschuhe ergänzt.
Cleo verfehlte den richtigen Moment, um zu verhindern, dass der Champagner knisternd über den Rand des Glases aufschäumte. Er rann ihr über die Finger und tropfte ihr auf die Schuhe.
Jasper ließ seinen Blick durch die Loge schweifen. »Hübsch hast du’s hier. Ich mochte Rot schon immer.« Er nickte. »Lass uns noch mal darüber reden, was du wirklich über diese neue Zelle weißt, die hier aktiv ist. Die, der dieser arme Bulle angehörte, den du an deine Menschenfreunde verraten hast. An Lantis und seinen Schnüffler.«
»Jasper …« Cleo stellte vorsichtig das Glas ab. »Ich weiß über diese angebliche Zelle genauso wenig wie du, und ich habe auch niemanden an irgendwen verraten. Ich würde nichts tun, was das Leben auch nur eines einzigen Betas in Gefahr bringt.«
»Ist das so?« Der Wolf hob die Lefzen, knackte mit den Knöcheln und schritt langsam auf sie zu.
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02.10.3042 A.D.,
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