Justin Mallory 01 - Jäger des verlorenen Einhorns
einmal seltsam menschliche Gesichtszüge entwickelt hatte: einen breiten ausdrucksstarken Mund, eine schmale kantige Nase und große runde blutunterlaufene Augen. »Ich hänge den ganzen Tag lang in dieser kalten, zugigen Wohnung herum, ich belüge deine Gläubiger, ich helfe dir, beim Kartenspiel zu betrügen, und das ist jetzt der Dank dafür! Ziemlich verzogen, fürwahr!«
Mallory näherte sich dem Spiegel. »Ich muss mit dem Grundy reden«, sagte er.
»Ach, das musst du, ja?«, blaffte Immergrün. »Na ja, und ich brauche einen Eigentümer, der Ahnung von Innendekoration hat, der wenigstens hin und wieder mal die Teppiche reinigt und der etwas Mitgefühl mit einem Spiegel zeigt, welcher Hoffnungen und Ängste und Wünsche hat wie jeder andere auch!«
Mallory starrte den Spiegel an und wusste einfach nicht, was er sagen sollte.
»Ich denke, es ist der Mangel an Rücksicht, der mir am meisten zu schaffen macht«, gestand Immergrün. »Wusstest du schon, dass er sich die Zehennägel reinigt, während er hier sitzt und Bier trinkt und sich im Fernsehen Ringkämpfe ansieht.«
»Jetzt mal langsam!«, verlangte Mephisto.
»Sieh nur!«, kreischte der Spiegel. »Er wird mich schlagen!«
»Ich werde dich nicht schlagen«, erwiderte der Zauberer müde.
»In Marrakesch war ich glücklich !«, jammerte Immergrün. »Ich genoss Respekt und Stellung, wurde wie ein Familienmitglied behandelt und nicht in einem Zimmer eingesperrt und manchmal tagelang vergessen.« Er verdrehte wehleidig die Augen. »Vater, Vater«, singsangte er, »wieso hast du mich verlassen?«
»Es tut mir leid«, sagte Mephisto zu Mallory. »Das wird wieder eine dieser Nächte.«
»Du denkst, ich könnte es nicht, wie?«, behauptete der Spiegel anklagend. »Du denkst, ich könnte nicht Kontakt zum Grundy aufnehmen, wann immer ich möchte?«
»Kannst du es?«, fragte Mallory.
»Ich kann einfach alles«, behauptete Immergrün. »Pass auf!«
Auf einmal verschwand sein Gesicht und bewölkte sich die Spiegelfläche einen Augenblick lang. Dann wurde sie wieder klar und zeigte ein Baseballfeld.
»Was zum Teufel soll das?«, wollte Mallory wissen.
»Das fünfte Spiel der World Series von 1959«, erklärte Immergrün stolz. »Da siehst du Luis Aparicio vor der ersten Base, und Nelson Fox steht im Begriff, einen Bunt zu schlagen.«
»Eindrucksvoll«, räumte Mallory ein.
»Das ist noch gar nichts!«, sagte Immergrün begeistert. »Sieh mal diesen Augenschmaus!«
Das Baseballspiel verblasste und wurde durch eine Szene ersetzt, in der Humphrey Bogart und Clark Gable eine bunt zusammengewürfelte Armee von Afghanen in die Schlacht führten.
»Der Mann, der König sein wollte«, erklärte der Spiegel.
»Du musst dich irren«, wandte Mallory ein. »Ich habe den Film gesehen - darin spielten Sean Connery und Michael Caine.«
»Ah«, sagte Immergrün, »aber hier siehst du die Version, die John Huston zwanzig Jahre vorher drehen wollte, wofür er aber keine Geldgeber fand.«
»Wirklich?«, fragte Mallory. »Die würde ich irgendwann gern sehen.«
»Ich kann erkennen, dass du ein Mann mit Geschmack und Auffassung bist«, sagte Immergrün beifällig. »Im Gegensatz zu dem Falschspieler da drüben. Alles, was er je von mir zu sehen bekommen möchte, sind Russ-Meyer-Filme.«
»Nicht jeder möchte hochgestochene Kunstfilme sehen«, wehrte sich Mephisto. »Manche von uns mögen auch einfach eine gute Handlung.«
»Ohne Klamotten und mit jeder Menge praller Busen«, wandte der Spiegel sarkastisch ein.
»Na ja, das ergibt immerhin mehr Sinn als diese ganzen morbiden Filme aus Schweden, die du mir immer aufschwatzen möchtest.«
»Ich versuche nur, deinen Horizont zu erweitern«, erklärte der Spiegel. »Wir hängen wohl oder übel zusammen, also könnten wir auch versuchen, eine gemeinsame Gesprächsgrundlage zu finden. Aber nein, nicht du! Du erträgst es einfach nicht, wenn ein Spiegel sich im gesellschaftlichen Rang steigern, sich ein wenig Kultur zulegen, seinen Lebensstandard verbessern möchte!« Immergrüns Gesicht tauchte wieder auf, und er richtete die Augen auf Mallory. »Siehst du, womit ich hier konfrontiert bin? Nimmt es da Wunder, dass ich zuzeiten ein bisschen launisch werde?«
»Was ist nötig, deine Laune so weit zu steigern, dass du Kontakt zum Grundy herstellst?«, fragte Mallory.
»Ein wenig Freundlichkeit, ein wenig Rücksicht, mehr nicht.« Er zögerte. »Nebenbei: Wusstest du schon, dass man dir hierher gefolgt
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