Justiz
er, war wieder in den alten Stammbeizen anzutreffen, es war anscheinend ein Intermezzo gewesen. In Wirklichkeit hatte Schönbächler die Hauptzeugen noch einmal vernommen. Was jedoch die weiteren Recherchen betrifft, so benutzte Lienhard Feuchting, der zu jenen berüchtigten Elementen zählt, die er in seiner Detektei im Talacker beschäftigt, und den ich damals noch nicht kannte – erst jetzt kenne ich ihn (von der
›Monaco-Bar‹). Feuchting ist ein unzuverlässiger, übler Bursche, das kann niemand bestreiten, und auch Lienhard bestreitet es nicht, ebensowenig wie die Polizei, die Feuchting schon mehrere Male verhaftet hat (Rauschgift) und dann wieder selber für ihre Recherchen braucht. Feuchting ist ein Spitzel, der sein Metier und sein Milieu kennt. Möglich, daß er einst bessere Tage gesehen, 77
möglich, daß er sogar studiert hat, der Rest, der sich nun durchs Leben pumpt, gaunert, erpreßt, ist erbärmlich. Sein Pech, sagte er (im ›Monaco‹) zu diesem Thema, trübselig in sein Glas Pernod stierend, sei, daß er kein Russe, sondern Deutscher sei. Deutscher sei hierzulande kein Beruf, möglicherweise in Ägypten oder Saudi-Arabien, hier sei nur Russe einer. Seine Existenz würde in diesem Falle keinen Anstoß erregen, im Gegenteil, als Russe wäre er geradezu verpflichtet, so zu sein, wie er sei: versoffen und ruiniert; aber nicht einmal den Russen zu spielen sei hier möglich, weil er so aussehe wie in französischen Resistance-Filmen ein Deutscher. In diesem Punkt spricht er die Wahrheit. Ausnahmsweise. Er sieht so aus. Er kennt die Ober- und Unterwelt wie kein zweiter, beherrscht die Bar- und Pinten-Geographie. Er vermag über jeden Stammkunden jedes zu erfahren. Doch bevor mir Lienhard das von Schönbächler und Feuchting Ermittelte zuschickte, traf ich zum zweiten Mal mit Monika Steiermann zusammen, trat das ein, was ich befürchtet oder erhofft hatte – ich weiß es nicht mehr. Es wäre besser gewesen, die Begegnung hätte nicht stattgefunden (die erste wie die zweite).
Arbeit in der Zentralbibliothek: Warum nicht die Steiermannsche Familiengeschichte erzählen? Eben erreichte mich eine neue Postkarte Kohlers – die letzte kam vor vier Wochen, das Katz-und-Maus-Spiel geht weiter, er will Samoa später besuchen, er fährt von Hawaii nach Japan – mit einem Luxusdampfer, und hier war ich vor der Aufsichtskommission, vor dem Präsidenten Professor Eugen Leuppinger. Der berühmte Strafrechtler, Schmisse im Gesicht, poetisch, totale Glatze, empfing mich in seinem Büro; der Vizepräsident Stoss, sportlich, überhaupt frisch, fromm, fröhlich, frei, war auch zugegen. Die Herren waren menschlich. Der Hinauswurf werde zwar unumgänglich, der Regierungsrat würde sonst darum ersuchen, und da sei es klüger zuvorzukommen, aber man bedauerte, war betrübt, väterlich, begriff sozusagen auf der ganzen Linie, hatte Mitgefühl, machte durchaus keine Vorwürfe, aber dennoch, unter Männern gesprochen, Hand aufs Herz, ich müsse 78
das selber zugeben, gerade für Juristen sei offiziell ein bestimmter Lebenswandel in einem bestimmten Milieu angezeigt, ja man dürfe formulieren, je bedenklicher dieses sei, desto untadliger müsse jener sein, die Welt sei nun einmal ein greuliches Philisternest, besonders unsere liebe Stadt, es sei zum Davonlaufen, und wenn er, Leuppinger, mal hier seine Bude schließen könne, dann auf nach dem Süden, doch nicht das sei das Wesentliche, natürlich seien zwar Prostituierte Menschen, sogar wertvolle Menschen, arme Menschen, denen er persönlich, er gebe es ruhig zu vor mir und vor Kollega Stoss, viel verdanke, Wärme, Mitgefühl, Verständnis, selbstverständlich sei das Gesetz auch für den Strich da, um das ominöse Wort mal zu gebrauchen, aber durchaus nicht im Sinne einer Förderung, ich müsse doch als Jurist selber einsehen, daß gewisse Ratschläge, die ich da der Unter- und Halbwelt gegeben hätte, gerade weil sie gesetzlich nicht anfechtbar seien, eine verheerende Wirkung zeitigten, die Kenntnis der gesetzlichen Handhaben sei in den Händen gewisser Kreise katastrophal, die Polizei sei geradezu verzweifelt, die Aufsichtskommission schreibe zwar nichts vor, übe keinen Gesinnungsterror, sei überhaupt liberal, na ja, ich wüßte schon, Statuten seien nun einmal Statuten, auch ungeschriebene, und dann fragte mich Leuppinger noch, wie Stoss mal raus mußte, ganz alter Bursche und Haudegen, ob ich ihm nicht eine bestimmte Rufnummer vermitteln könnte, um eine bestimmte
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