Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Justiz

Justiz

Titel: Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
Vom Netzwerk:
offiziell.«
    Lienhard lachte. »Mädchen, das gibt einen Skandal, den du dir nicht vorstellen kannst.«
    »Mir egal«, sagte sie.
    Lienhards Dunhill wollte im Dampf des Badezimmers nicht recht brennen. Er zündete sie noch einmal an.
    »Spät«, meinte er, »mischen Sie sich da nicht rein. Das ist ein Rat.«
    »Sie haben mich hineingemischt«, antwortete ich.
    »Auch wieder wahr«, sagte Lienhard und lachte, und dann sagte er zu Daphne: »Steig raus.«
    »Sie sind ja auf einmal ein Redner geworden«, meinte ich zu Lienhard und ging.
    Später, im Zeltweg, rief ich Lüdewitz an. Der tobte. Ich wußte zuviel. Er wurde kleinlaut. Und so kam mein Besuch bei der wirklichen Monika Steiermann zustande.
    90
    Zweite Rede an den Staatsanwalt: Je mehr ich schreibe, desto unwahrscheinlicher fällt mein Bericht aus. Ich bastle schriftstellerisch gewaltig, bemühe mich sogar im Dichterischen, berichte von der Wetterlage, versuche geographisch exakt zu sein, schaue im Stadtplan nach, all das nur, weil Sie, Herr Staatsanwalt Joachim Feuser (verzeihen Sie, daß der Tote in der Leichenhalle wieder an Sie persönlich das Wort richtet), das Literarische, ja Poetische schätzen und sich überhaupt als einen musischen Menschen betrachten, wie Sie bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten – sogar vor dem Geschworenengericht – zu erwähnen lieben und daher, ohne meine literarischen Zutaten, mein Manuskript womöglich in die Ecke feuern könnten. Aber mein Bericht bleibt Klischee. Trotz Dichtung. Tut mir leid. Ich komme mir wie der Verfasser eines Kolportageromans vor: ich als Gerechtigkeitsfanatiker, Lienhard als Limmat-Sherlock-Holmes, und Daphne Müller als Messalina der Goldküste, wie unser rechtes Seeufer genannt wird. Die Statue mit den straffen Brüsten und der unanständigen Haltung, die ich bei Mock übersehen hatte, während ich die lebendige Daphne als Statue bewunderte, dieses sinnliche Weibsbild aus bemaltem Gips ist mir (von der echten ganz zu schweigen) nachträglich lebendiger in Erinnerung als das Mädchen, das nun in meinem Bericht vorkommt. Natürlich ist es an sich gleichgültig, ob sie und falls, wie oft sie mit Lienhard schlief – mit wem schlief sie nicht? –, aber die inneren Beweggründe und Vorgänge sind nun einmal für meinen Bericht wesentlich, wie etwas geschieht in dieser verschlungenen Welt und warum. Stimmt das äußere Geschehen, lassen sich die inneren Motive wenn nicht mit Sicherheit erraten, so doch ahnen, stimmen die äußeren Fakten nicht, fand ein Beischlaf statt, den man nicht aufzeichnete, oder vermeldete man einen, der nicht stattfand, schwebt man im Leeren, im Vagen.
    So auch hier. Wie kam Lienhard hinter das Geheimnis der
    »falschen« Monika Steiermann? Weil er mit ihr schlief? Dann hätten es viele gewußt. Liebte sie ihn? Dann hätte sie es ihm nicht gesagt.
    Hatte sie Angst? Möglich. Und was Benno betrifft, wollte Lienhard ihn von Anfang an verdächtigen? War Daphne der Grund? Ich stelle 91
    diese Fragen, weil man mir die Schuld an Daphnes Tod zuschiebt.
    Ich hätte nicht die echte Monika Steiermann aufsuchen sollen. Aber Daphne hat mich darum gebeten. Ich hatte einer Möglichkeit nachzugehen. Diesen Auftrag hatte ich angenommen und auch den Vorschuß von fünfzehntausend Franken, auch wenn ich an die Unmöglichkeit dieser Möglichkeit glaubte und jetzt noch glaube: Denn daß Dr.h.c. Isaak Kohler der Mörder Winters ist, daran ist nicht zu zweifeln. Daß es auch ein anderer hätte sein können, ist nur eine Möglichkeit, die nichts besagt, daß auf der Suche nach dieser Möglichkeit übersehene Fakten ans Licht kommen, liegt am Wesen der Fiktion, Kohler sei nicht der Mörder, die ich für diese Suche machen mußte. Im übrigen habe ich die Wahrheit zu schreiben, bei der Wahrheit zu bleiben, doch eben: Was ist die Wahrheit hinter der Wahrheit? Ich stehe vor Vermutungen, tappe herum. Was stimmt?
    Was ist übertrieben? Was verfälscht? Was wird verschwiegen? Was soll ich bezweifeln? Was glauben? Ist überhaupt etwas Wahres, Sicheres, Gewisses hinter diesen Vorgängen, hinter diesen Kohlers, Steiermanns, Stüssi-Leupins, Lienhards, Hélènes, Bennos usw., die mir da über den Weg gelaufen sind, etwas Wahres, Sicheres, Gewisses, Wirkliches hinter unserer Stadt, hinter unserem Land? Ist nicht alles rettungslos abgekapselt, hoffnungslos ausgeschlossen von den Gesetzen und Motiven, die die übrige Welt in Schwung und Atem halten, ist nicht alles hinterwäldlerisch, mitteleuropäisch,

Weitere Kostenlose Bücher