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Justiz

Justiz

Titel: Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Leben geblieben. Mein Vater hat sie in einem Institut für Rassenforschung aufgekauft. Solche Biester sind damals billig zu haben gewesen. Als unbrauchbarer Restposten der Menschheit. Für mich sind sie Usbeken, weil mir das Wort gefällt. Haben Sie die Gartenzwerge gesehen, Rechtsanwalt?«
    Der Schweiß lief mir über das Gesicht. Der Raum war überheizt.
    »Eine ganze Armee, Frau Steiermann.«
    »Ich stelle mich manchmal unter die Weiblein«, lachte das Wesen, 96
    »und kein Mensch bemerkt mich, auch wenn ich mich bewege.
    Cheerio.«
    Der Usbeke, der es trug, hielt ihm wieder den Scotch an die Lippen. Es trank.
    »Auf Ihr Wohl, Frau Steiermann«, sagte ich und trank ebenfalls.
    »Setzen Sie sich, Rechtsanwalt Spät«, befahl es. Ich setzte mich in den Ledersessel. Der Usbeke blieb vor mir unbeweglich stehen, das Wesen auf dem Arm.
    »Daphne will nicht mehr zu mir zurück«, sagte es, »ich hatte gewußt, daß sie einmal nicht mehr zurückkommt«, und in seinen großen Augen im kleinen faltigen Gesicht unter dem mächtigen, fast haarlosen Schädel waren Tränen.
    Bevor ich etwas zu sagen vermochte, setzte der Usbeke das Wesen auf meinen Schoß, drückte mir dessen Scotch in die freie Hand und warf sich mit den drei anderen zum Fenster hin auf die Knie, sie berührten mit ihrer Stirn den Boden, und ihre gewaltigen Hintern schnellten hoch. Das Wesen krallte sich an mich. Ich war etwas unbeholfen mit den zwei Gläsern.
    »Da beten sie wieder. Fünfmal am Tag. Setzen mich dabei meistens auf einen Schrank«, sagte es.
    Dann befahl das Wesen: »Trinken.«
    Ich hielt ihm das Glas an die Lippen.
    »Ist der Olympia-Heinz nicht wunderschön?« fragte es unvermittelt und trank erst dann den Scotch aus, ohne innezuhalten.
    »Sicher«, antwortete ich und stellte das leere Glas neben meinem Ledersessel auf den Teppich. Das Wesen fiel mir dabei fast vom Schoß.
    »Unsinn«, sagte es mit seiner dunklen Stimme, die voller Selbstverachtung war. »Benno ist ein verkommener, kitschiger Geck, in den ich mich verliebt habe. Ich verliebe mich immer in kitschige Männer, weil Daphne sich immer in kitschige Männer verliebt.«
    Das Wesen, das ich in den Armen hielt, fühlte sich wie ein winziges Gerippe an.
    »Ich habe Daphne meinen Namen gegeben, damit sie das Leben führt, das ich hätte führen wollen, und sie hat es geführt«, stellte es fest. »Ich hätte auch mit jedem geschlafen. Haben Sie auch mit ihr 97
    geschlafen?« fragte das Wesen auf einmal trocken.
    »Nein, Frau Steiermann.«
    »Schluß mit Beten!« kommandierte es.
    Die Usbeken erhoben sich. Jener, der das Wesen hereingetragen hatte, nahm es wieder auf die Arme. Ich hatte mich unwillkürlich ebenfalls erhoben, immer noch das Glas Whisky mit Eis in der Hand.
    Ich hatte meinen Auftrag ausgeführt und wollte mich verabschieden.
    »Setzen Sie sich wieder, Rechtsanwalt«, befahl es. Ich gehorchte.
    Von den Armen des Usbeken sah es auf mich nieder. Seine Augen hatten nun etwas Drohendes. Verbannt in einen kleinen, zerkrüppelten Leib, konnte es sich nur durch seine Augen und durch die Stimme ausdrücken.
    »Ein Messer«, sagte es.
    Einer der Usbeken klappte ein Messer auf, reichte es ihm.
    »Zu Bennos Fotos«, sagte das Wesen.
    Der Usbeke trug es zu den Fotos an den Wänden, und es zerschnitt ruhig, als operiere es, Dr. Benno wie er lächelte, zerschnitt Dr.
    Benno wie er aß, wie er saß, zerschnitt Dr. Benno wie er nachdachte, wie er schlief, wie er strahlte, wie er trank, zerschnitt Dr. Benno im Frack, zerschnitt Dr. Benno im Smoking, im Maßanzug, im Reitkostüm, zerschnitt Dr. Benno beim Pistolenschießen, als Seeräuber auf einem Maskenball, in der Badehose, ohne Badehose, zerschnitt Dr. Benno im Fechttenue am Olympia-Turnier, zerschnitt Dr. Benno im Tennisanzug, Dr. Benno im Schlafanzug, Dr. Benno auf der Jagd, wir machten Platz, ich war von den Usbeken umstellt, jener, der das kleine Wesen trug, umkreiste uns in der höllischen Hitze dieses Kabinetts, dessen Boden sich mit den Fetzen der zerschnittenen Fotos bedecken begann. Als alle Fotos zerschnitten waren, nahmen wir unsere Plätze ein, als ob nichts geschehen wäre.
    Das Wesen wurde mir wieder auf den Schoß gesetzt. Ich saß da wie ein Vater mit einer Mißgeburt.
    »Das hat mir gutgetan«, sagte sie ruhig. »Jetzt lasse ich Daphne fallen. Ich sorge dafür, daß sie wird, was sie einmal gewesen ist.«
    Esblickte zu mir auf. Das faltige Gesicht wirkte so uralt, als sei das Wesen geboren worden, bevor es Menschen

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