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Justiz

Justiz

Titel: Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Nichts auflöst, ist keine einfache Angelegenheit, dazu waren noch andere Mitwisser nötig. Auch von der Behörde mußten es einige gewußt haben. Und dann hatte es Kohler gewußt. Die Steiermann hatte es mir erzählt.
    Vielleicht hatten es viele gewußt. Die Falle, in die ich nach Mock geraten war, konnte nur darin bestehen, daß ich, ob ich wollte oder nicht, den Glauben an Kohlers Unschuld schürte, auch wenn ich diesen Glauben nicht teilte. Ich machte ihn mit, weil ich Kohlers Auftrag angenommen hatte. Gab ich der Fiktion nach, er sei nicht der Mörder, mußte ich auf einen anderen stoßen, war es nicht Brutus, der Cäsar tötete, war es Cassius; war es nicht Cassius, war es Casca.
    Vielleicht. Vielleicht waren nicht der Zuchthausdirektor und die Wärter die Urheber des Gerüchts, Kohler sei unschuldig, ich war es selber. Woher wußte der Kommandant von meinem Auftrag? Der Wärter Möser war dabei, als er erteilt wurde, die Knulpes, Hélène, Förder, Kohlers Privatsekretär, sicher verschiedene Anwälte, dann Lienhard, wer von seinen Leuten? Ilse Freude wußte es, hielt sie dicht? Vielleicht war Kohlers Auftrag schon ein Stadtgespräch, zwar war ich überzeugt, er habe seinen Mord aus wissenschaftlicher Neugier begangen, aber durch den Auftrag führten meine Recherchen von Kohler weg, statt auf ihn zu. War das der Sinn seines Auftrags? War ich der Urheber eines undurchsichtigen Manövers, lieferte ich die Berichte über die Recherchen meinem Auftraggeber ab? Aber ich war in einer Zwangslage. Lienhard würde bald die Spesen vorlegen. Ich brauchte Geld, und die einzige Geldquelle war Kohler. Ich mußte weitermachen. Trotz meiner Skrupel. Oder gab es einen Ausweg? Ich kam auf den Einfall, meinen früheren Chef Stüssi-Leupin aufzusuchen und mich mit ihm zu besprechen. Noch zögerte ich. Dann entschloß ich mich, doch nicht zu ihm zu gehen, die Recherchen nicht abzuliefern, geschehe, was wolle. Doch dann zögerte ich nicht mehr. Dr. Benno besuchte mich in der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember 1956, von einem Freitag auf einen Samstag. Gegen Mitternacht. Ich weiß 107
    es noch genau. Weil sich in dieser Nacht sein Schicksal entschied und das meine. Ich studierte zum dritten Mal den Bericht, als er die Tür zum Büro aufriß, das einmal ihm gehört hatte und an dessen Schreibtisch ich saß. Er war ein großer, nun massiger Mann, mit langem strähnigem schwarzem Haar, das er zurückgekämmt hatte, so daß es seine Glatze bedeckte. Er hinkte auf meinen Schreibtisch zu.
    Er wirkte wie einer, der zu schwer für sein Knochengerüst geworden ist. Er stützte sich mit seinen im Gegensatz zum massigen Körper beinah kindlich wirkenden Händen auf die Schreibtischplatte, starrte mich an, halb beschienen von der Schreibtischlampe. Er war nicht mehr nüchtern, verzweifelt und in seiner Hilflosigkeit sympathisch.
    Ich lehnte mich zurück. Sein schwarzer Anzug glänzte speckig.
    »Dr. Benno«, sagte ich, »wo sind Sie gewesen? Die Presse sucht Sie überall.«
    »Egal, wo ich gewesen bin«, keuchte er. »Spät, lassen Sie den Prozeß sein. Ich bitte Sie.«
    »Welchen Prozeß, Dr. Benno?« fragte ich.
    »Den Sie gegen mich anstrengen«, sagte er heiser.
    Ich schüttelte den Kopf. »Niemand strengt einen Prozeß gegen Sie an, Dr. Benno«, erklärte ich.
    »Sie lügen«, schrie er. »Sie lügen! Sie haben gegen mich Lienhard eingesetzt, Fanter, Schönbächler, Feuchting. Und die Presse haben Sie auch auf mich gehetzt. Sie wissen, daß ich ein Motiv hätte, Winter zu erschießen.«
    »Kohler hat es getan«, antwortete ich.
    »Das glauben Sie ja selber nicht.« Er zitterte am ganzen Leib.
    »Kein Mensch zweifelt daran«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen.
    Benno starrte mich an, trocknete sich mit einem schmutzigen Taschentuch die Stirn, »Sie werden mir den Prozeß machen«, sagte er leise. »Ich bin verloren, ich weiß es, ich bin verloren.«
    »Aber, Dr. Benno«, antwortete ich.
    Er wankte zur Tür, öffnete sie langsam und ging, ohne sich weiter um mich zu kümmern.
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    Das Alibi: Wurde wieder unterbrochen. Das Schicksal schlug zu.
    Diesmal durch Lucky. In seiner Begleitung ein Subjekt, das er mir als den »Marquis« vorstellte. (Indem ich als Schreibender aus dem unheilvollen Geschehen herausgetreten bin, worin ich mich als Handelnder verstrickte, habe ich Farbe zu bekennen: In einer verbrecherischen Welt bin ich selbst ein Verbrecher geworden: Ihrer Zustimmung zu dieser Feststellung, Herr Staatsanwalt, bin ich sicher,

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